Der Begriff des AKIS (Agricultural Knowledge and Innovation System) ist umfassend: Er beschreibt die Art und Weise, wie Menschen und Organisationen zusammenkommen und interagieren, um gegenseitiges Lernen zu fördern, um landwirtschaftliches Wissen und Innovationen zu erzeugen, zu teilen und zu nutzen. Landwirtinnen und Landwirte, staatliche, private und berufsständische Beratungskräfte, Forschung, Aus- und Weiterbildung (sekundäres, tertiäres oder lebenslanges Lernen), Agribusiness, Handel sowie Verbraucherinnen und Verbraucher, Ministerien, Nichtregierungsorganisationen und Medien – sie alle sind Teil des AKIS und wirken mittels ihrer spezifischen Wissenspraktiken und -bestände an der Generierung, dem Austausch und der Nutzung von Wissen und Innovationen mit. Die lange Liste der beteiligten Akteursgruppen zeigt: Das System der landwirtschaftlichen Wissensproduktion ist heterogen, durch vielfältige Interaktions- und Netzwerkbeziehungen strukturiert und in pluralistische „communities of practice“ fragmentiert (Fieldsend et al. 2021).

Komplexes System

Aufbauend auf der analytischen Systematik von Infrastrukturen, Prozessen und Funktionen des komplexen Gesamtsystems AKIS (Knierim et al. 2022, S. 4f.) werden nachfolgend die Ergebnisse einer Befragung landwirtschaftlicher Betriebe in Rheinland-Pfalz (n=391) untersucht. Diskutiert werden die Wissens- und Qualifizierungsbedarfe landwirtschaftlicher Betriebsleitungen im Kontext steigender Unsicherheit und Komplexität – bezogen auf die Vervielfältigung der Wissensquellen und sich verändernder Bedingungsfaktoren (zum Beispiel neue Gesetze).

Grundlage ist die Prämisse, dass die Betriebe als „Klienten“ im Zentrum des AKIS stehen. Damit wird sowohl eine akteurszentrierte als auch systemische Perspektive auf das "regionale" AKIS in Rheinland-Pfalz eingenommen; es werden individuelle Wissens- und Qualifizierungsbedarfe wie auch systemische "Wissenslücken" und Bedarfe zur Optimierung des Leistungsspektrums identifiziert. Gemäß der oben genannten Systematik zur Analyse landwirtschaftlicher Wissens- und Informationssysteme wird damit ein Schwerpunkt auf die funktionale Leistungsfähigkeit des AKIS aus Sicht der Praxisakteure gelegt (Knierim et al. 2022, S. 28).

Vielfältige Quellen

Auf einer allgemeinen Ebene wurden die Betriebsleitungen gebeten, ihren eigenen Wissensstand hinsichtlich der Aktualität des Fachwissens einzuschätzen. 45 Prozent beziehungsweise 15 Prozent der Befragten schätzten ihren Wissensstand als "gut" beziehungsweise "unzureichend" ein. 40 Prozent gaben an, dies nicht einschätzen zu können. Diese Unsicherheit steht im Zusammenhang mit der angesprochenen Vervielfältigung des Wissens und den raschen Veränderungsprozessen des Sektors, die eine eindeutige Bewertung der Qualität von Informationen zunehmend erschwert.

Gleichzeitig fällt es den Befragten zunehmend schwerer, zuverlässige Quellen für Fachinformationen "anzuzapfen". Während 62 Prozent der Befragten angeben, die Offizialberatung des Landes, die Dienstleistungszentren Ländlicher Raum (DLR) als primäre Bezugsquelle für Fachinformationen zu nutzen, hat sich die räumliche und persönliche "Distanz" zu deren Beratungskräften seit der Agrarverwaltungsreform im Jahr 2003 vergrößert. Seitdem gehört die einzelbetriebliche Beratung nicht mehr zum Aufgabenspektrum der Dienstleistungszentren Ländlicher Raum (DLR), und die Aufgabe wurde an akkreditierte Privatanbieter im Rahmen der Beratungsförderung abgegeben.

Damit einher geht die Beobachtung, dass sich die Quellen von Fachinformationen diversifiziert haben und die Wissensbedarfe der Befragten weit über das traditionelle Tätigkeitsfeld der landwirtschaftlichen Betriebsberatung hinausgehen. Die Veränderungen in der Beratungslandschaft zeigen sich auch in der Praxis der Informationsbeschaffung. In einer offenen Antwortkategorie, befragt nach den Formaten, über die neues praktisches Wissen für die Anwendung im eigenen Betrieb bezogen wird, geben mittlerweile rund 32 Prozent der Befragten digitale Informationskanäle an, die nach Auswertung der offenen Antworten in "Rundmails, Verteiler und Newsletter", "Webseiten, Foren und soziale Medien" sowie "Messengerdienste" unterteilt wurden. Mit rund 26 Prozent der Antworten zählen die klassischen Printmedien wie Bauernzeitungen, Rundschreiben und Fachzeitschriften weiterhin als der zweitwichtigste Informationskanal hinter den digitalen Angeboten.

Digitale Formate

Befragt nach der Häufigkeit der Nutzung und der Nützlichkeit unterschiedlicher digitaler Formate zeigt sich, dass die Informationsbeschaffung über unterschiedliche Formate erfolgt (s. Abbildung). Die am häufigsten genutzten Formate sind Online-Schulungen und Webinare (33 Prozent), gefolgt von digitalen Anwendungen wie Apps und dem Geobox-Viewer (23 Prozent) sowie Webseiten und Online-Foren (20 Prozent). Daneben werden soziale Medien (Facebook, WhatsApp, Instagram, YouTube) sowie Datenbanken und Informationssysteme zur Informationsbeschaffung genutzt.

Wenngleich der Nutzen eines jeden Formats von den spezifischen Bedürfnissen des Betriebs und den situativen Anforderungen abhängig ist, lassen sich auf Basis der Daten hinsichtlich deren Nützlichkeit einige allgemeine Aussagen treffen. Als Online-Merkblätter und Handreichungen aufbereitete Fachinformationen (häufig zum Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln), Apps privater Anbieter (Schlagkarteien, Düngemittelplanung, Wetter) und Webinare beziehungsweise Online-Fachveranstaltungen zur gesamten Bandbreite produktionsbezogener Themen werden durchschnittlich als sehr nützlich bewertet. Demgegenüber wird die am zweithäufigsten genutzte Information über Webseiten im Durchschnitt nur als befriedigend bewertet. Die als sehr nützlich bewerteten Merkblätter und Handreichungen werden hingegen nur von einer geringen Anzahl der Befragten genutzt.

Trotz oder gerade wegen der Allgegenwärtigkeit digitaler Informationsangebote sprechen sich rund 79 Prozent der Befragten für deren Erweiterung aus. Eine besonders hohe Nachfrage zeigte sich nach einer digitalen Beratungsplattform, die allgemeine Fachinformationen gebündelt zur Verfügung stellt. Die Bündelung und Vorselektion relevanter Fachinformationen, beispielsweise in einer digitalen Beratungsplattform der Offizialberatung, wird von einem Großteil der Befragten als ein Mittel zur effizienten Information angeregt. Damit würde ein Abwägen von unterschiedlichen Informationsquellen entfallen. Neben der Bereitstellung von Fachinformationen (30 Prozent) sollte eine solche Plattform Möglichkeiten zur Qualifizierung in Form von Online-Schulungen und Webinaren (55 Prozent) sowie Prognosedaten zu Pflanzenschutz, Düngung und Wetter (15 Prozent) bereithalten.

Weiterbildung gefragt

In dem großen Interesse an digitalen Qualifizierungsangeboten drückt sich auch die hohe Bereitschaft zur Weiterbildung mit durchschnittlich 5,8 Weiterbildungen pro Jahr aus. Die hohe Nachfrage wird maßgeblich durch drei Gruppen von Anbietern gedeckt – so erfolgen rund 86 Prozent der Weiterbildungen zusammen über die DLR (48 Prozent), Landwirtschaftskammer und Beratungsringe (22 Prozent) sowie Verbände und Erzeugerorganisationen (16 Prozent) zu einer breiten Themenvielfalt. Während die Verbände das Spektrum betriebswirtschaftlicher, rechtlicher und auch sozialer Fragestellungen (z.B. Hofnachfolge) adressieren, fokussiert das Gros der Qualifizierungen auf produktionstechnische Fragestellungen von Ackerfrüchten, Wein und Obst (33 Prozent), allen voran zum Einsatz von PSM und Düngemitteln (28 Prozent). Nur etwa ein Prozent der Qualifizierungen erfolgt mit thematischem Schwerpunkt im Naturschutz.

Hinsichtlich der Ausgestaltung fachlicher Qualifikationsangebote wünschen sich hingegen 19,5 Prozent der Befragten Qualifizierungen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und alternativer Einkommensquellen, gefolgt vom Umwelt- und Ressourcenschutz (18 Prozent) sowie Fähigkeiten zum Einsatz neuer Technologien und Maschinen (15 Prozent). Die Themen Klimaanpassung/-schutz sowie Biodiversitätsförderung liegen gleich dahinter mit jeweils rund 14 Prozent. Bezüglich fachübergreifender Qualifizierungen wünschen sich die Befragten vermehrt Weiterbildungen zu betriebswirtschaftlichen, Führungs- und Managementkompetenzen (24 Prozent), zu Technologie- und Digitalisierungsmanagement (20 Prozent) sowie zu Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit und Gesprächsführung (19 Prozent). Gleichsam sind soziale Themen (zum Beispiel Hofnachfolge) und Kompetenzen (zum Beispiel Persönlichkeitsentwicklung) mit jeweils rund 13 Prozent ebenfalls stark nachgefragt.

Angebote abstimmen

In der Gegenüberstellung genutzter Qualifizierungsangebote mit zukünftigen Bedarfen zeigt sich eine deutliche Divergenz zwischen dem, was aktuell als notwendig angesehen wird, und dem, was angesichts der Herausforderungen des Sektors zukünftig als erforderlich gilt. Um diese Herausforderungen anzugehen und die hohe Bereitschaft zur Weiterbildung zu nutzen, ist eine Abstimmung der (thematischen) Leistungsangebote zwischen den Anbietern von Beratung und Weiterbildung zwingend notwendig.

Derzeit ist das System teilweise von Redundanzen und Konkurrenzen zwischen unterschiedlichen Organisationen geprägt, wie eine ergänzende qualitative Erhebung unter Anbietern von Beratung und Wissenstransfer ergeben hat. Eine stärkere arbeitsteilige Spezialisierung im Verbund hätte den Vorteil, dass Synergien genutzt und ein breiteres Spektrum an Themen im öffentlichen Interesse adressiert werden könnten. Entsprechende Anreize zur Nutzung gemeinwohlorientierter Leistungen im AKIS müssen durch den Gesetzgeber in der Ausgestaltung der Interventionen (zum Beispiel über Fördersätze) gesetzt werden. Hierfür bedarf es aber zuallererst des Austauschs der beteiligten Organisationen und der Verständigung darüber, wer aufgrund seiner Position im AKIS für welche Inhalte steht und wie tragfähige Leistungsangebote gestaltet sein können.

AKIS weiterentwickeln

Das Beratungs- und Bildungswesen in der Landwirtschaft unterliegt einem stetigen Wandel – einzelbetriebliche Beratungsansätze werden zugunsten neuer Formen der Gruppenberatung ersetzt, analoge um digitale Angebote ergänzt und deren Themenspektrum erweitert. Zusammen mit den Herausforderungen des Sektors erzeugen diese Entwicklungen Orientierungsbedarf bei den Betrieben, die sich angesichts vielfältiger Informationsquellen zunehmend eigenständig neues Wissen aneignen. Landwirtinnen und Landwirte suchen aktiv nach Möglichkeiten, neue Praktiken und Technologien auf ihren Betrieben zu etablieren und zapfen hierfür unterschiedlichste Wissensnetzwerke an. Die Bereitschaft zum Wandel und zur Innovation sind damit bei weiten Teilen der Befragten vorhanden, das ist eine erfreuliche Erkenntnis der Befragung.

Um diese Bereitschaft strategisch zu nutzen und dem gestiegenen Wissensbedarf gerecht zu werden, müssen neue Konfigurationen von Beratung und Wissenstransfer entwickelt werden. Die Offizialberatung hat aufgrund ihrer Legitimität eine gute Ausgangsposition, um als zentrale Drehscheibe zwischen Forschung, Beratung und Praxis die Koordinierung der Wissensbedarfe und Angebote vorzunehmen. Ein Schwerpunkt der Weiterentwicklung des AKIS in Rheinland-Pfalz könnte beispielsweise auf der Transparenz und Belastbarkeit der Ergebnisse des staatlichen Versuchswesens liegen, die über die Offizialberatung zugänglich gemacht werden.

Die Dienstleistungszentren ländlicher Raum würden als räumlich und thematisch spezialisierte Wissens- und Innovationshubs agieren, die Forschungsergebnisse und Innovationen praxisnah validieren, die gewonnenen Erkenntnisse praxistauglich aufbereiten und in einer zentralen Wissensplattform zur Verfügung stellen. Diese Bündelung hätte gleichsam eine Stärkung privatrechtlicher Organisationen zur Folge, da insbesondere kleinere Organisationen ohne eigenes Backoffice davon profitieren. In diesem Zusammenhang bietet die systemische Erfassung von Wissensbedarfen und Angebotslücken Hinweise für die Festlegung strategischer (thematischer) Schwerpunkte für die Bildungs- und Beratungslandschaft in einem integrierten AKIS.


Literaturverzeichnis

Fieldsend, A. F.; Cronin, E.; Varga, E.; Biró, S.; Rogge, E. (2021): ‘Sharing the space’ in the agricultural knowledge and innovation system: multi-actor innovation partnerships with farmers and foresters in Europe. In: The Journal of Agricultural Education and Extension 27 Jg., H. 4, S. 423–442. DOI: 10.1080/1389224X.2021.1873156.J

Knierim, A.; Birke, F. M.; Bae, S.; Schober, A.; Gerster-Bentaya, M.; Asensio, P. (2022): Der AKIS Ansatz – (wie) unterstützt er die Akteure im Sektor? In: Berichte über Landwirtschaft – Zeitschrift für Agrarpolitik und Landwirtschaft, Band 100, H. 1. DOI: 10.12767/buel.v100i1.378.

Müller, O.; Tepasse, H. (2022): Ad hoc Studie zum landwirtschaftlichen Wissens- und Innovationssystem (AKIS) in Rheinland-Pfalz im Rahmen der laufenden Evaluierung des Entwicklungsprogramms EULLE (Teil I). Frankfurt am Main: Institut für ländliche Strukturforschung.