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Die Ausbildungsphilosophie des Staatlichen Studienseminars für das Lehramt an berufsbildenden Schulen von Rheinland-Pfalz ermöglicht es den Referendarinnen und Referendaren in verschiedenen Veranstaltungen, Unterrichtsmethoden und Unterrichtssettings selbst zu erfahren. Dies hat den Vorteil, dass die zukünftigen Lehrkräfte die Anforderungen und Hürden verschiedener Lernarrangements direkt kennenlernen und darüber hinaus herausfinden können, ob die vorgestellten Methoden zu ihnen passen. Meist findet der Unterricht in den Räumen des Seminars in Mainz statt. Das Angebot eines externen Lernortes bedeutet für Landwirtschaftsreferendare eine vielversprechende Abwechslung. So wurde jüngst die Agriphotovoltaik-Anlage des Obsthofes Nachtwey in Gelsdorf besucht. Das Thema und die angekündigte Methode des Experteninterviews hatte großes Interesse bei den angehenden Lehrkräften geweckt.

Vorbereitungsphase

Im Vorfeld der Exkursion präsentierte Fachleiter Dr. Andreas Kopf der Referendargruppe Arbeitsaufträge für das Experteninterview. Die zukünftigen Lehrkräfte konnten sich je nach Interessenlage in eine Liste mit vorgegebenen Themenbereichen eintragen. In diesen Kleingruppen sollten Fragen zu dem jeweiligen Themenschwerpunkt entwickelt und zu einem Fragenkatalog zusammengeführt werden. Die Vorgabe von Themenschwerpunkten half der Lerngruppe, einen Fragenkatalog zu erstellen, der die wichtigsten Themenfelder abdeckt und so einen umfangreichen Erkenntnisgewinn ermöglicht.

Die Referendarinnen und Referendare sollten ihre eigenen Fragen dann auch im Gespräch stellen und die Antworten protokollieren. In der Unterrichtspraxis hilft dies, dass alle Lernenden beteiligt werden und sich nicht aus dem Gespräch zurückziehen können. Darüber hinaus erhält so jeder die Bestätigung, etwas zum Gelingen des Unterrichtsvorhabens beigetragen zu haben.

Zwei Referendare sollten die Moderation des Gesprächs übernehmen und sich vorab Gedanken machen, wie sie dies umsetzen wollen. Im Unterricht wird es dem Lehrenden dadurch möglich, sich zurückzunehmen und die Klasse zu beobachten. Schüleraktivität wird gefördert und das in die Lerngruppe gesetzte Vertrauen wirkt motivierend.

Da ein Teil der Referendare erstmalig Kontakt mit dem Thema Agriphotovoltaik hatte, stellte Dr. Kopf Informationsmaterialien zur Verfügung. Hierbei wurde auf verschiedene Lernzugänge geachtet. Neben Informationstexten standen auch Links zu Videos über Agriphotovoltaik bereit.

Umsetzungsphase

Zur Umsetzung des vorbereiteten Expertengesprächs besuchten die Referendarinnen und Referendare den Obsthof in Gelsdorf. Dort angekommen übergab Dr. Kopf die Gesprächsführung nach kurzer Absprache an das Moderationsteam. Zuerst gab Eigentümer Johannes Nachtwey in einer modernen Lager- und Sortierhalle eine kurze Einführung in die Geschichte und die aktuelle Situation des Obstbaubetriebes. Im Anschluss stellte er seinen Sohn Christian vor, der das Gespräch mit den angehenden Lehrkräften übernehmen würde. Unterstützt wurde Herr Nachtwey Junior dabei von Jürgen Zimmer, Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz. Auf dem Weg zur Anlage erklärte Herr Zimmer, warum die Überschirmung bei Obstkulturen zum Teil unverzichtbar ist. Dazu zeigte er durch Regen und Hagel beschädigte Äpfel und erläuterte, dass man bisher mit Netz- oder Folienabdeckungen gearbeitet habe. Diese aus Kunststoff gefertigten Abdeckungen, die zum einen erst nach der Bestäubung aufgestellt werden können und zum anderen nach spätestens zehn Jahren aufgrund von Materialermüdung ausgetauscht werden müssen, sollen durch Photovoltaik-Elemente ersetzt werden. Dadurch seien nicht nur die Kulturen geschützt, sondern es werde zusätzlich noch Strom erzeugt.

Christian Nachtwey berichtete schließlich über den Verlauf des Projekts von der Planungsphase bis zum heutigen Stand und verschwieg dabei nicht die Probleme, die sich beim Aufbau der verschiedenen Module ergeben haben. Er stellte klar, dass der Kulturschutz oberste Priorität habe, die Stromerzeugung sei zweitrangig. Die Symbiose solle erfolgreich sein, der erzeugte Strom die Betriebskosten senken oder dazu dienen, Betriebsabläufe zu automatisieren. Natürlich könnten Überschüsse auch eingespeist werden, so der Juniorchef des Obsthofes.

In dieser ersten Phase des Besuchs fand eher ein Vortrag statt, als dass sich ein Gespräch entwickelte. Dieser Fall kann vor allem dann eintreten, wenn der Experte gewohnt ist, über sein Fachgebiet zu referieren. Es besteht dann die Gefahr, dass die Lernenden mit Informationen überflutet werden und diese nicht mit ihrem Vorwissen verknüpfen können. Diese Überforderung führt häufig dazu, dass Lernende „abschalten“ oder es zu Störungen kommt. In solchen Situationen sind die Moderatoren gefragt. Dies sollte die Lehrkraft bereits vorher bedenken und nur solche Schülerinnen und Schüler mit der Moderationsaufgabe betrauen, die über die entsprechenden Kompetenzen verfügen.

Im konkreten Beispiel griff das Moderationsteam schließlich gekonnt ein und ermöglichte es der Referendargruppe, die vorbereiteten Fragen zu stellen. Es entwickelte sich ein dynamisches Gespräch, bei dem auch spontan nachgehakt wurde. Dies ist einer der Vorteile eines Experteninterviews: Aus dem Dialog zwischen Experten und Lernenden entwickeln sich neue Fragen, die mehr ins Detail gehen. Dadurch kann das Thema deutlich tiefer durchdrungen werden.

Im weiteren Gesprächsverlauf konnten alle Themenschwerpunkte angesprochen werden. Neben der Größe und der Leistungsfähigkeit der Anlage, dem möglichen finanziellen Mehrgewinn für den Betrieb durch die Stromerzeugung sowie die Investitionskosten interessierten sich die angehenden Lehrkräfte vor allem für die Akzeptanz der Anlage bei den Anwohnern. Die sehr dorfnahe Lage sowie der massiv wirkende Aufbau auf Stahlträgern ließ vermuten, dass ein Teil der Anwohner die Anlage als störend empfinden würden, zumal die Umgebung von Gelsdorf auch durch intensive Freizeitnutzung geprägt ist. Diese Annahme konnte Christian Nachtwey jedoch entkräften und nannte Gründe: Schon in der Planungsphase seien Informationsveranstaltungen durchgeführt worden. Darüber hinaus sei der Erholungswert direkt an der Anlage aufgrund der Nähe zur Autobahn A61 bereits eingeschränkt. Die vom Projektpartner Fraunhofer-Institut durchgeführte Sozialverträglichkeitsstudie belegt die gute Akzeptanz in der Bevölkerung.

Expertengespräch

Das Expertengespräch ist eine handlungsorientierte Unterrichtsmethode, die die Wissensvermittlung mit einer Erweiterung der kommunikativen sozialen Fähigkeiten verbindet. Darüber hinaus soll sie die Schülerinnen und Schüler zu einer wissens- und informationskritischen Haltung animieren. In der Literatur (u.a. Wolf 1994) wird die Methode in drei Abschnitte eingeteilt: die Vorbereitungsphase, die Durchführungsphase sowie eine Nachbereitung. Die Vorbereitung findet auf verschiedenen Ebenen statt. So muss die Lehrkraft einen zur Unterrichtssituation passenden Experten finden und mit diesem einen Termin vereinbaren. Darüber hinaus muss sich die Lehrkraft im Vorfeld darüber Gedanken machen, wie viel Verantwortung sie am Tag des Expertengesprächs an die Schülerinnen und Schüler übertragen kann und will. Die Vorerfahrungen sowie das Kompetenzniveau der Lerngruppe müssen in diese Überlegungen mit einbezogen werden.

Reflexionsphase

Nachdem alle Fragen gestellt waren, ging es zurück auf den Hof. Dort bedankten sich die Moderatoren im Namen der Gruppe für das Gespräch und verabschiedeten die Experten. Die Referendarinnen und Referendare fanden sich danach zu einer kurzen Nachbesprechung ein. Dieser Schritt sollte auch im praktischen Unterricht nicht ausgelassen werden. Erst hier hat der Lehrende, der sich bis zu diesem Zeitpunkt fast komplett aus dem Unterrichtsgeschehen herausgehalten hat, die Möglichkeit, Fehler oder falsch Verstandenes zu korrigieren.

Den Schülerinnen und Schülern sollte auch auf jeden Fall die Möglichkeit gegeben werden, über den Ablauf des Experteninterviews zu reflektieren. Mögliche Fragen könnten lauten: Was lief gut? Waren die Fragen an den Experten gut formuliert und für ihn verständlich? Hat der Experte die Fragen aufgenommen und adressatengerecht beantwortet? In jedem Fall sollten die Ergebnisse der Befragung zusammengetragen und in den Unterrichtskontext eingebunden werden.

Auch die angehenden Lehrkräfte haben sich kurz über neu gewonnene Erkenntnisse bezüglich Agriphotovoltaik ausgetauscht. Denn dieses Thema ist gerade für Lehrende, die in Zukunft Landwirtinnen und Landwirte sowie Winzerinnen und Winzer unterrichten, sehr aktuell und bietet sich daher als Unterrichtsthema an. Darüber hinaus tauschten sich die Referendare über Herangehensweise und mögliche Probleme in der Umsetzung aus. Der Grundtenor der Gruppe war eindeutig: Das Experteninterview ist eine interessante Methode, die sich gerade im landwirtschaftlichen Bereich hervorragend einsetzen lässt.


Literatur

Wolf, H.-U. (1994): Aktives Lernen. Handlungsorientierung im gesellschaftlichen Lernbereich der Sekundarstufe I. Donauwörth, S. 45-59.