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Die berufliche Bildung besitzt als Qualifizierungsinstanz für alle wirtschaftlichen Bereiche schon immer eine hohe Bedeutung und das in Deutschland angewandte duale System findet international viel Anerkennung. Die Relevanz der beruflichen Bildung ist dadurch gestiegen, dass der demografisch bedingte Fachkräftemangel, der sich in den vergangenen Jahren zunehmend bemerkbar gemacht hat und der sich in Zukunft allen Prognosen zufolge erheblich verstärken wird, eine Ausschöpfung aller verfügbaren Arbeitskraftressourcen erforderlich macht. Dabei rücken auch Personengruppen wie Menschen mit Behinderung und Menschen mit Migrationshintergrund, die in Zeiten eines aus Arbeitgebersicht entspannteren Arbeitsmarktes schwerer vermittelbar sind, stärker ins Blickfeld.

Allgemeine Entwicklungen

Diese Personengruppen und insbesondere die Migrationsbewegungen der zurückliegenden Jahre stellen die berufliche Bildung vor die Herausforderung, spezifisch ausgerichtete Qualifizierungen zu konzipieren und auf die jeweiligen Zielgruppen zuzuschneiden. Eine weitere Entwicklung stellt die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung von Arbeitsprozessen dar, die alle wirtschaftlichen Bereiche umfasst und die den Fachkräftemangel möglicherweise zumindest partiell kompensieren kann, sofern die Beschäftigten über die erforderlichen Qualifikationen im Umgang mit diesen neuen technologischen Möglichkeiten verfügen.

Von diesen Entwicklungen ist der landwirtschaftliche Sektor in spezifischer Weise betroffen: Die Vielzahl an möglichen Unternehmensformen, Betriebsstrukturen und -größen, Produktions- und Wirtschaftsverfahren sowie Spezialisierungsformen stellen die Berufsbildung in der Landwirtschaft in Deutschland vor große Herausforderungen. Hinzu kommen vielfältige gesellschaftliche Erwartungen in Bezug auf Verbraucherschutz, Nachhaltigkeit, Tierwohl, Biodiversität und Integration beziehungsweise Inklusion, die ebenfalls die Berufsbildung im Sektor unter Druck setzen.

Der grüne Arbeitsmarkt

Der Arbeitsmarkt in der Landwirtschaft unterscheidet sich teilweise bedeutend vom Arbeitsmarkt insgesamt. Die Altersstruktur der Erwerbstätigen am landwirtschaftlichen Arbeitsmarkt ist im Vergleich zur übrigen Erwerbsbevölkerung im Durchschnitt deutlich in Richtung eines höheren Alters verschoben, was mittelfristig auf einen strukturellen Wandel hindeutet. Auch das Einkommensniveau in der Landwirtschaft fällt deutlich geringer aus als in allen Branchen insgesamt. Ein direkter Vergleich mit dem Wirtschaftsbereich Hochbau, einer in relevanten Merkmalen ähnlichen Branche, stärkt diese Einschätzung

Rund die Hälfte aller Beschäftigten, die in der Landwirtschaft arbeiten, sind in Tätigkeiten mit dem niedrigsten Anforderungsniveau („Helfer“) eingebunden (s. Abbildung 1). Für die Zukunft ist jedoch anzunehmen, dass der Arbeitskräftebedarf insbesondere in den mittleren Anforderungsniveaus „Fachkraft“ und „Spezialist“ zunehmen wird: Es gibt Hinweise, dass das Anforderungsprofil auf dem Arbeitsmarkt in der Landwirtschaft zukünftig, unter anderem bedingt durch den Digitalisierungs- und Automatisierungsprozess, weiter steigen wird. Hierdurch wird auch ein höherer Anspruch an die Qualifizierung der Beschäftigten und der Betriebsleitenden gestellt. Der Erwerb zusätzlicher Qualifikation über den Berufsabschluss hinaus, zum Beispiel in Form von kontinuierlichen Fort- und Weiterbildungen, wird an Bedeutung gewinnen. Gleichsam ist ein hohes Interesse an der Landwirtschaft aus Sicht vieler Betriebsleitenden ein wichtiges Kriterium für die Beschäftigung in einem landwirtschaftlichen Unternehmen (s. Abbildung 2).

Eine weitere Besonderheit des Arbeitsmarktes in der Landwirtschaft ist der hohe Anteil an Familienarbeitskräften. Diese repräsentieren die größte Beschäftigungsgruppe, gefolgt von Saisonarbeitskräften und ständigen familienfremden Arbeitskräften. Doch auch hinsichtlich dieser Beschäftigungsstruktur lassen sich in der Zukunft Verschiebungen erwarten: Die Beschäftigungszahlen von Familienarbeitskräften werden kontinuierlich sinken, während die Anzahl der familienfremden Arbeitskräfte zunehmen wird.

Agrarische Bildungswege

Die Ausgestaltung der agrarischen Bildungswege hängt maßgeblich von den Rahmenbedingungen des landwirtschaftlichen Arbeitsmarktes ab. In diesem Kontext spielen unter anderem die grundsätzlichen Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft eine entscheidende Rolle, die verglichen mit anderen Branchen des produzierenden Gewerbes relativ schlecht ausfallen: Hierzu gehören das bereits angesprochene geringe Lohnniveau, ein schlechtes Image landwirtschaftlicher Berufe und abschreckende beziehungsweise teilweise saisonal stark schwankende Arbeitszeiten (s. Abbildung 3).

Daneben haben aber auch die guten Beschäftigungschancen auf dem landwirtschaftlichen Arbeitsmarkt, unter anderem bedingt durch die im Zuge des demografischen Wandels immer geringer werdende Verfügbarkeit von Arbeitskräften und Auszubildenden, einen wesentlichen Einfluss auf die agrarische Bildung. Darüber hinaus wird die Berufsbildung in der Landwirtschaft von diversen gesellschaftlichen, rechtlichen, marktwirtschaftlichen und technologischen Entwicklungen flankiert, an die sie sich kontinuierlich anpassen muss, um in Zeiten des Fachkräftemangels im Konkurrenzkampf um Auszubildende mithalten zu können. 

Insgesamt ist festzustellen, dass Aus- und Weiterbildungsangebote in der Landwirtschaft sehr vielseitig sind: Eine Ausbildung ist im Rahmen einer dualen Berufsausbildung, einer schulischen Ausbildung oder einer akademischen Ausbildung an Fachhochschulen und Universitäten möglich. Auch Menschen mit Behinderung rücken seit einigen Jahren verstärkt ins Blickfeld des Arbeitsmarktes und damit auch der beruflichen Bildung. Um spezifisch ausgerichtete Qualifizierungen zu konzipieren und die Ausbildung stärker auf die Zielgruppe zuzuschneiden, wurde § 66 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) ins Leben gerufen.

Die aktuelle organisatorische sowie inhaltliche Ausgestaltung der Berufsbildung in der Landwirtschaft wird von verschiedenen Beteiligten, darunter Auszubildenden, Lehrkräften sowie weiteren Akteuren aus Politik und Wirtschaft, stark diskutiert. Beispielhaft hierfür ist die duale Berufsausbildung zu nennen. Obgleich die grundsätzliche Struktur sowie die thematischen Inhalte der Lehrpläne für die drei agrarischen Ausbildungsberufe Landwirt/-in, Tierwirt/-in und Fachkraft Agrarservice angemessen erscheinen, werden laut Aussage verschiedener Expertinnen und Experten einzelne Inhalte nicht ausreichend betrachtet: Hierzu gehören Themen wie Digitalisierung und Technisierung, Klimawandel, berufsübergreifende Kenntnisse sowie soziale Kompetenzen („Soft Skills“), die in der Zukunft massiv an Bedeutung gewinnen werden.

Handlungsbedarf bis 2030

Die genannten Ergebnisse zeigen, dass der landwirtschaftliche Arbeitsmarkt seit längerer Zeit einem kontinuierlichen Wandel unterliegt, der sich auch auf die Anforderungen an die berufsspezifische Ausbildung auswirkt. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand ist davon auszugehen, dass sich dieser Wandel auch in den kommenden Jahren weiter fortsetzen wird und dass damit auch der Handlungsbedarf für Anpassungen in der landwirtschaftlichen Berufsbildung zunimmt. Im Rahmen der BMEL-Studie wurden vier Szenarien entwickelt (s. Abbildung 4).

In der zusammenfassenden Betrachtung (s. Tabelle 1) der einzelnen Szenarien lassen sich eine Reihe von Schlüsselfaktoren identifizieren, die voraussichtlich in allen denkbaren Zukunftsmodellen gleichermaßen ausgeprägt sein und für den Arbeitsmarkt Landwirtschaft Bestand haben werden. Hierzu gehören im Wesentlichen hohe gesellschaftliche Anforderungen, ein zunehmender Mangel an Fachkräften, eine Verschärfung der Wettbewerbsbedingungen durch übergeordnete Marktbedingungen sowie ein steigendes Anforderungsprofil an die Beschäftigten. Die übrigen Faktoren sind stark voneinander und den gesetzten Variablen abhängig und beschreiben damit die wesentlichen Ausprägungen und Charakteristika des jeweiligen Szenarios.

Nachfolgend ein Beispiel zu den möglichen Ausprägungen der Schlüsselfaktoren im Grundszenario: In diesem Szenario ist davon auszugehen, dass die gesellschaftlichen Anforderungen an die Landwirtschaft weiter zunehmen werden. Mit zunehmender Kaufkraft in Deutschland geht ein Wandel der Werte und Lebensstile einher. Dies betrifft den höheren Anspruch an die Qualität der Produkte in unterschiedlichen Dimensionen (regional, individuell, biologisch erzeugt etc.). Zudem wird der Grad der Regulierung in diesem Szenario zunehmen und den Handlungsspielraum weiter begrenzen. Die Landwirtschaft ist traditionell Gegenstand einer umfassenden Regulierung, umgesetzt in Verordnungen, Gesetzen und Richtlinien. Vor dem Hintergrund steigender gesellschaftlicher Anforderungen, deren mittelbarer Ausdruck letztlich rechtliche Vorgaben sind, werden Verpflichtungen und Einschränkungen der Produktionsweise (z. B. in den Bereichen Tierwohl, Düngung, Pflanzenschutz etc.) weiter zunehmen.

Die Gesamtzahl der Betriebe wird im Grundszenario weiter abnehmen, die durchschnittliche Größe hingegen wird steigen. Mit der weiteren Abnahme der Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe insgesamt werden auch weniger Ausbildungsbetriebe bestehen bleiben. Dies korrespondiert jedoch nicht zwangsläufig mit einer Abnahme an Arbeits- oder Ausbildungsplätzen im gleichen Umfang, denn durch Konzentrationsprozesse entstehen größere Einheiten mit mehr Angestellten.

Ein weiterer Schlüsselfaktor ist das Image der Landwirtschaft. Die landwirtschaftliche Produktionsweise, insbesondere in ihrer konventionellen Form, gerät im Grundszenario zunehmend in Konflikt mit gesellschaftlichen Anforderungen einer besonders ressourcenschonenden Bewirtschaftung. Durch die wachsende Bedeutung sozialer Medien und Kampagnen verschlechtert sich das Image der Landwirtschaft weiterhin, und damit verbunden auch die Attraktivität des Berufsbildes für Nachwuchskräfte. Die demografische Entwicklung führt insgesamt zu einem rückläufigen Angebot an Arbeitskräften, auch die Zahl der Ausbildungen ist daher tendenziell rückläufig. Diese Trends können je nach Region aber sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Übergeordnete Marktbedingungen werden zudem in diesem Szenario verschärft. Die Landwirtschaft bleibt, wie andere Sektoren der Volkswirtschaft, von übergeordneten Trends und Umwälzungen betroffen, darunter insbesondere von der weiteren Öffnung der Märkte im Rahmen der Globalisierung sowie den Auswirkungen des Klimawandels.

Neben diesen externen Schlüsselfaktoren prägen auch interne Faktoren das Grundszenario: Demnach werden sich die Arbeitsbedingungen auf landwirtschaftlichen Betrieben in den kommenden Jahren nicht maßgeblich verbessern. Dies betrifft im Wesentlichen das geringere Lohnniveau, unregelmäßige und teilweise extrem lange Arbeitszeiten, physisch und psychisch fordernde Arbeitsspitzen oder die mangelhafte Anbindung des Arbeitsplatzes an das Umland. Auch die Rolle der Betriebsleiterin bzw. des Betriebsleiters wird sich verändern. Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter benötigen künftig mehr strategische und Managementkompetenzen sowie kommunikative Fähigkeiten im Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Abnehmern, Zulieferern, Banken, Politik und Gesellschaft. Unternehmerische Kompetenz wird ein noch größerer Erfolgsfaktor werden. Nicht zuletzt wird die Betriebsleitung stärker Verantwortung für Auszubildende übernehmen müssen.

Die Diversifizierung und Spezialisierung der Betriebe werden die Anforderungsprofile an die Beschäftigten verändern. Während die Anzahl der Betriebe insgesamt weiter substanziell abnehmen, die durchschnittliche Betriebsgröße hingegen gleichzeitig zunehmen wird, sind die Auswirkungen auf die betriebliche Ausrichtung unterschiedlich und nicht pauschal zu bemessen. Zudem wird im Grundszenario die individuelle technische Verantwortung der Beschäftigten steigen und somit das Anforderungsprofil zunehmen. Der Grad der Technisierung sowie die Digitalisierung von Produktion und Vertrieb werden im Primärsektor weiter zunehmen. Dies führt einerseits zu einem Abbau einfacherer bzw. Routinetätigkeiten, generiert andererseits aber neue Beschäftigungsmöglichkeiten für entsprechend qualifizierte Fachkräfte. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in landwirtschaftlichen Betrieben werden künftig stärker für den Einsatz von technologisch weit entwickelten Maschinen und Instrumenten verantwortlich sein. Gleichzeitig werden in diesem Szenario die Anforderungen an das Datenmanagement komplexer. 

Mit den dargestellten möglichen Entwicklungen des Arbeitsmarktes Landwirtschaft verändern sich auch die Rahmenbedingungen und spezifischen Anforderungen an die agrarische Berufsbildung. Für diese lassen sich Einschätzungen zu den zentralen Herausforderungen ableiten. Die Bedarfsprognosen für die agrarische Berufsbildung sind wie der Arbeitsmarkt selbst maßgeblich gleichermaßen durch externe, übergeordnete sowie interne Faktoren bestimmt. Insgesamt konnten im Rahmen der Studie sechs Schlüsselfaktoren identifiziert werden, die sich auf das System von Aus- und Weiterbildung künftig auswirken (s. Tabelle 2).

Literatur

Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) (Hrsg.) (2020):
Arbeitsmarkt Landwirtschaft in Deutschland: Aktuelle und zukünftige Herausforderungen an die Berufsbildung, Bonn