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Im Wettbewerb um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnt eine nachhaltige betriebliche Bildung an Bedeutung.
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Der transformative Wandel der Gesellschaft soll durch Bildungsprozesse, genauer gesagt Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), begleitet und ausgelöst werden (Agenda 21). Die Zielsetzung: Menschen sollen sich vertieft mit Umwelt- und Entwicklungsfragen auseinandersetzen. Dies gilt auch für die berufliche Bildung. Genau hier setzte der Modellversuch des Fachbereichs Berufspädagogik und Weiterbildung der Universität Erfurt an: „Konzepte zur Professionalisierung des Ausbildungspersonals für eine nachhaltige berufliche Bildung“ (KoProNa). Im Mittelpunkt standen Ausbilderinnen und Ausbilder als Schlüsselpersonen der dualen Ausbildung sowie deren Auszubildende. Während der Projektlaufzeit – 05/2016 bis 08/2019 – konnten aus den Regionen Thüringen und Ostwestfalen-Lippe insgesamt 15 Unternehmen mit 35 Ausbilderinnen und Ausbildern gewonnen werden. Weiter wurden 38 Auszubildende aus beiden Regionen in die Projektarbeit durch ein Fotoprojekt eingebunden. KoProNa wurde 2018 von der UNESCO im Weltaktionsprogramm BNE als nachhaltiges Netzwerk (Stufe 3) sowie 2019 von den Regionalen Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien (RENN) und dem Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) als „Projekt Nachhaltigkeit 2019“ ausgezeichnet.

Modellversuch

Innovationen oder neue Prozesse in die Betriebe von außen zu implementieren, ist ein schwieriges Unterfangen. Werden die Beteiligten jedoch von Anfang an direkt in die Entwicklungsarbeit einbezogen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer dauerhaften Veränderung. Daher wurden Ausbildende bereits im ersten der fünf Workshops in die Entwicklungsarbeit eingebunden. Zunächst galt es, implizit vorhandenes Wissen, hier zum Thema Nachhaltigkeit, offenzulegen. Dazu boten sich Thementische an, welche durch konkrete Fragestellungen fokussieren.

Weiterhin wurden Interviews mit den teilnehmenden Ausbildungskräften durchgeführt. Diese lieferten tiefergehende Erkenntnisse zu den Bedingungen der jeweiligen betrieblichen Ausbildung und wurden zu einem Unternehmensfall zusammengefasst. Um das vorhandene Wissen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen ins Verhältnis zu bringen, wurde im Modellversuch ein ganztägiger Workshop zur Sensibilisierung und zum Wissensaufbau durchgeführt. Hier konnten die Ausbilderinnen und Ausbilder die grundlegenden Begriffe und Anforderungen rund um das Thema Nachhaltigkeit nachvollziehen.

Bei der Analyse der betrieblichen Ist-Situation wurden auch die Auszubildenden beteiligt. Sie erhielten einen Fotoauftrag, bei dem fünf verschiedene Fragen mit einem oder mehreren Fotografien beantwortet werden sollten. Beim Abgleich der Perspektiven von Ausbildungsverantwortlichen und Auszubildenden ergaben sich Ansätze für innerbetriebliche Projekte mit Nachhaltigkeitsbezug.

Für die Umsetzung waren die Ausbilderinnen und Ausbilder jeweils selbst verantwortlich. Da dabei methodisch-didaktische Fertigkeiten gefragt waren, gehörte die pädagogische Weiterqualifikation der Beteiligten zu den Grundbausteinen im Modellversuch.

Aus der Forschung zur akademischen Professionalisierung, beispielsweise von Berufsschullehrkräften, ist die Bedeutung der Reflexion von pädagogischem Handeln bekannt. Alltagswissen und subjektive Theorien kommen im pädagogischen Handeln zum Ausdruck. In Reflexionen werden diese erklärbar und damit nachvollziehbar. Warum sollte dies für betriebliche Ausbildungskräfte nicht gelten? Modellversuche bieten eine gute Gelegenheit Reflexionsanlässe zu schaffen.

Im Modellversuch wurde dazu ein zweitägiger erlebnispädagogischer Workshop mit Ausbilderinnen und Ausbilder durchgeführt. Die Reflexion der eigenen pädagogischen Tätigkeit, das Kennenlernen und Erleben erlebnispädagogischer Methoden sowie das Übertragen der neuen Ansätze in die eigene betriebliche Praxis stellten die Zielkategorien des Workshops dar. Den Rückmeldungen war zu entnehmen, dass einige Ausbildende ihre Rolle doch sehr intensiv hinterfragten und Veränderungen ihrer Ausbildungspraxis bereits etabliert waren. Begreift man betriebliche Ausbildung als nachhaltigen, zu gestaltenden sozialen Prozess, stellt die pädagogische Professionalität der Ausbildungsverantwortlichen eine grundlegende Prämisse dar.

Nachhaltiger Lernort

Die Ausformulierung eines allgemeinen Merkmalsets eines nachhaltigen Lernortes gestaltet sich schwierig. Natürlich gibt es klare Kennzahlen und Aussagen zu Energie- und Ressourcenverbrauch, zum Müllaufkommen, zu nachhaltigen Lieferketten, zur Vertragsgestaltung von Mitarbeitenden oder auch zu Weiterbildungstagen pro Mitarbeiterin und Mitarbeiter. Dies sagt jedoch wenig über die Qualität des nachhaltigen Handelns von Individuen aus.

Menschen begegnen sich in sozialen Interaktionen einer individuellen und komplexen betrieblichen Umwelt. Einen Ausschnitt dieser betrieblichen Umwelt stellt die betriebliche Ausbildung dar und eben hier sind betriebliche Ausbildungskräfte verantwortlich und handlungsfähig. Somit stellt ein nachhaltiger Lernort eine Form der Gestaltung der Lern- und Arbeitsatmosphäre dar.

Mittels eines Analyserasters, welches gemeinsam mit Ausbildungskräften im Modellversuch entwickelt und erprobt wurde, ist es möglich Reflexionsprozesse zur Überprüfung der eigenen betrieblichen Ausbildung in Gang zu setzen. In insgesamt 72 Fragen können Ausbilderinnen und Ausbilder ihre Praxis reflektieren:

  • sicher: Arbeitsschutzmaßnahmen gelten natürlich auch in der Ausbildung. Sicherheit bedeutet aber auch, nicht aufgrund von äußerlichen Merkmalen oder inneren Einstellungen diskriminiert zu werden.
  • sauber: Sauberkeit umfasst die jeweilige Struktur eines Arbeitsplatzes und die Anordnung von Werkzeugen oder Betriebsmitteln an einem Lernort. Aufgrund einer entsprechenden Struktur kann so leichter gelernt werden. Durch eine einheitliche Struktur wird Zeit gespart und die Sicherheit am Arbeitsplatz gewährleistet. Werkzeuge und Betriebsmittel können durch die Einhaltung der Ordnungsstruktur wie auch durch Pflege länger verwendet werden.
  • abwechslungsreich: Individuell als herausfordernd wahrgenommene Aufgaben können Jugendliche motivieren und sie für die Ausbildung begeistern. Überforderung wäre jedoch eher motivationshemmend. Es geht auch darum, entweder in entsprechenden Arbeitsaufträgen oder auch kleinen Teilprojekten, individuell herausfordernde Situationen zu schaffen, an welchen die Auszubildenden wachsen können.
  • praxisnah: Die Ausbildung beziehungsweise die Arbeitsinhalte sollten eine entsprechende Praxisnähe zum betrieblichen Geschehen aufweisen. Sind die einzelnen Arbeitsaufgaben und -schritte sehr praxisnah, also an die realen betrieblichen Arbeitsabläufe angelehnt, erachten die Auszubildenden diese als sinnvoll/sinnhaft und sehen sich auch als Teil des Ganzen.
  • informativ: Der Arbeitsplatz muss für einen Auszubildenden informativ sein. Dies ist wichtig, damit sich dieser weiterentwickeln kann. Dabei können verschiedene Inhalte sehr aufschlussreich sein, weil die Zusammenhänge der einzelnen Arbeitsschritte oder auch das Zusammenwirken einzelner Abteilungen deutlich werden. In erster Linie ist wichtig, dass der Auszubildende alle notwendigen Informationen zur Erledigung seiner Aufgabe hat.
  • motivierend: Auszubildende wollen verstehen, warum bestimmte Arbeitsschritte notwendig sind. Damit wird die Sinnhaftigkeit von Arbeitsaufträgen und Arbeitsschritten gefasst. Werden darüber hinaus auch die Merkmale wie praxisnah, abwechslungsreich und informativ erfüllt, ist dies im Resultat motivierend für einen Auszubildenden. Auch transparente und realistische Zielvorgaben können motivierend wirken, da sie Auszubildenden als Orientierungshilfe dienen.
  • ergonomisch: Ob sich der Arbeitsplatz des Auszubildenden im Büro, in der Produktionshalle, in der Werkstatt, im Gewächshaus oder auf dem Acker befindet, ist unerheblich. Die richtige Körperhaltung während der Arbeit spielt jedoch eine bedeutende Rolle. Dies ist wichtig, um spätere Haltungsschäden zu vermeiden.
  • partizipativ: Im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung und einer nachhaltigen Gestaltungskompetenz ist es von grundlegender Bedeutung, dass Jugendliche Partizipationsmöglichkeiten im Unternehmen haben. Angefangen bei einer eigenen Interessenvertretung muss es ihnen möglich sein, das Unternehmen mitzugestalten. Weiterhin spielen hier soziale Aspekte wie die Einbindung in die betriebliche Praxisgemeinschaft eine große Rolle.

Reflektierte Praxis

Ausbilderinnen und Ausbilder stellen die Schlüsselpersonen für eine nachhaltige betriebliche Bildung dar. Sollen transformative Prozesse gemäß den Anforderungen einer nachhaltigen Entwicklung auch in den Betrieben invitiert werden, müssen diese mit eingebunden werden. Dabei gilt es, gemeinsam mit den Ausbilderinnen und Ausbildern Ansatzpunkte für Veränderungsprozesse, beispielsweise durch innerbetriebliche Prozesse, zu finden und zu nutzen.

Ausbildungskräfte sollten dazu ihre eigene pädagogische Praxis sowie ihre Lehrinhalte bezüglich nachhaltiger Bildungsinhalte reflektieren und gegebenenfalls anpassen. Eindeutige Merkmale einer nachhaltigen betrieblichen Bildung aufzustellen, ist aufgrund der sozialen Komponente im Ausbildungsprozess schwierig. Vielmehr kommt es auf eine reflektierte Praxis an, welche zum Beispiel durch die Nutzung von Reflexionsinstrumenten erfolgen kann.