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Laut einer Auswertung der letzten Landwirtschaftszählungen des Statistischen Bundesamts besitzt nur knapp über zehn Prozent der Betriebsleitenden in Deutschland einen akademischen Abschluss in einem landwirtschaftlichen Bereich. Dazu hat etwa ein Drittel nicht einmal eine landwirtschaftliche Ausbildung abgeschlossen. Daraus leitet sich die Frage ab, ob und wie das Verständnis für den gewinnbringenden Einsatz digitaler Technologien in der Landwirtschaft von der Theorie in die praktische Anwendung übergehen kann. Die fünf Bildungsexpertinnen und -experten aus den Bereichen Fach- und Berufsschulen, Universitäten und Weiterbildungseinrichtungen waren sich in der abschließenden Podiumsdiskussion der 44. GIL-Jahrestagung einig, dass es zum Teil erhebliche Schwierigkeiten in der Wissensvermittlung gibt.

Wissenstransfer

In seinem Eingangsstatement hob Prof. Michael Brinkmeier von der Universität Osnabrück das erste wesentliche Hindernis für einen erfolgreichen Wissenstransfer hervor: Auf Ebene der Berufsschulen passiere es häufig, dass Lehrkräfte selbst nicht genau verstehen, was Digitalisierung in ihrem Bereich bedeutet und welche spezifischen Kompetenzen vermittelt werden müssen. Als Leiter der Arbeitsgruppe Didaktik in der Informatik an der Universität Osnabrück hat er in verschiedenen Lehrerfortbildungen eine spürbare Unsicherheit und Orientierungslosigkeit erlebt. Diese Unsicherheiten erschweren es, so Prof. Brinkmeier, den Auszubildenden die komplexen Inhalte der Digitalisierung im Unterricht näherzubringen.

Dr. Carsten Henze, Fachlehrer für Landwirtschaft am Berufsbildungszentrum am Nord-Ostsee-Kanal, betonte basierend auf seinen Unterrichtserfahrungen, dass eine erfolgreiche Integration digitaler Inhalte in den Unterricht vor allem von den Kenntnissen und der Motivation der jeweiligen Lehrkraft abhängt. An den Universitäten, so Prof. Eva Gallmann vom Zentrum für Tierhaltungstechnik an der Universität Hohenheim, komme es stark auf Persönlichkeit und Interesse der Dozierenden an, ob sich Studierende für ein Studium digitaler Technologien begeistern lassen.

Frieder Demmer, Leiter der GVS-Agrar-Academy in Schaffhausen (Schweiz), stellte klar, dass es nicht ausreicht, immer mehr digitale Technologien für die Landwirtschaft bereitzustellen. Ebenso wichtig sei es, Nutzende zu ermutigen, sich aktiv damit auseinanderzusetzen und über Erfolgserlebnisse Anreize zu schaffen, sich weiter in digitale Technologien in der Landwirtschaft einzuarbeiten. Anwendungsorientiertes Wissen lasse sich nach seiner Einschätzung am besten im Einsatz in der Praxis vermitteln.

Auch an landwirtschaftlichen Anstalten der öffentlichen Verwaltung werde praxisnahes Wissen zum Einsatz digitaler Technologien in der Landwirtschaft aufgebaut und vorgehalten, ergänzte Dr. Christian Bauer vom Landwirtschaftlich-Technischen Zentrum Karlsruhe. Solange die Nachfrage danach jedoch auf Einzelinteressen beruht, gestalte es sich schwierig, einen strukturierten Wissenstransfer in die Praxis zu begleiten, so Dr. Bauer.

Grundlagenwissen

Die Kluft zwischen den Erwartungen der akademischen Welt und den praktischen Erfahrungen von Landwirten mit digitalen Technologien wurde aus den Reaktionen des Podiums auf eine unter den Tagungsteilnehmenden durchgeführte Umfrage deutlich. Die Ergebnisse wiesen darauf hin, dass Landwirtinnen und Landwirte eine umfassende Anwendungskompetenz in sämtlichen digitalen Technologiebereichen der Landwirtschaft besitzen müssen (s. Abbildung). Die Expertinnen und Experten bewerteten eine derartige Annahme über das Wissensniveau von Praktikerinnen und Praktikern als unrealistisch.

Fachlehrer Dr. Carsten Henze unterstrich, dass IT-Kenntnisse keine Voraussetzung für die Ausbildung zur Landwirtin oder zum Landwirt sind. Selbst das in der Schule erworbene Anwendungswissen, wie der Umgang mit Office-Programmen, spiele im landwirtschaftlichen Alltag nur eine untergeordnete Rolle. Bestimmte digitale Technologien im Lehrplan zu verankern, berge die Gefahr, vom technischen Fortschritt überholt zu werden. Manches praktische Anwendungswissen entwickelt sich so rasant, dass Lehrinhalte, die früher mehrere Tage beansprucht haben, heute oft nur in einem halben Tag abgedeckt werden. Deshalb mahnte Prof. Michael Brinkmeier, die Rolle der Informatik nicht zu unterschätzen. Sie vermittele ein grundlegendes Verständnis digitaler Systeme, das es ermöglicht, sich später eigenständig in weitere digitale Technologien einzuarbeiten.

Schulungen und eine intensive Begleitung spielen im Bereich des lebenslangen Lernens eine wesentliche Rolle, um die erforderlichen Kompetenzen zu vermitteln und Vertrauen in die neuen Technologien zu stärken. Es sei nicht zu erwarten, jeden von digitalen Technologien zu begeistern, führte Frieder Demmer aus: „Es geht vielmehr darum, eine Brücke zwischen bewährtem Wissen und neuen Technologien zu bauen, indem man Personen, die mit den digitalen Tools vertraut sind, gezielt in den Austausch mit traditionellen Landwirten bringt“. Die Herausforderung bestehe darin, die Menschen dort abzuholen, wo sie stehen, und zu motivieren, sich weiter mit neuen Technologien zu beschäftigen.


Netzwerk Agrarinformatik

Die Gesellschaft für Informatik in der Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft (GIL) ist das älteste Expertennetzwerk für Agrarinformatik im deutschsprachigen Raum. GIL fördert die Agrarinformatik durch Wissenstransfer zwischen Wissenschaft, Lehre, Politik und Praxis und organisiert seit 1980 jährliche Fachtagungen. Die nächste GIL-Jahrestagung wird vom 24. bis 26. Februar 2025 in Wieselburg (Österreich) stattfinden. Sämtliche Tagungsbeiträge befinden sich auf der Website unter gil-net.de und dokumentieren die Entwicklung der deutschsprachigen Agrarinformatik seit der ersten Stunde.


Neue Lehrpläne?

Um Wissenslücken nicht entstehen zu lassen, sollten digitale Technologien in der Landwirtschaft laut Umfrage so früh wie möglich in die Lehrpläne der landwirtschaftlichen Berufs- und Fachschulen aufgenommen werden. Auf diesen Vorschlag reagierten die Bildungsexperten zurückhaltend, auch wenn sie zugaben, dass dadurch digitale Technologien verbindlich im Unterricht verankert werden können.

Lehrpläne seien langfristig angelegt und in ihren Inhalten recht spezifisch. Die eigentliche Herausforderung bestehe darin, einerseits Lernziele und -inhalte zu definieren und andererseits den Lehrenden genügend Spielraum zu lassen, um den Unterricht an neue Entwicklungen anpassen zu können. In der beruflichen Weiterbildung bewegen überarbeitete Lehrpläne wenig, meinte Frieder Demmer, denn deren Angebote richten sich an freiwillige Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit abgeschlossener Berufsausbildung. Die Freiheit der Lehre lässt den Hochschulen viel Raum, Neues auszuprobieren – vorausgesetzt, man nutzt ihn auch, ergänzte Eva Gallmann und nannte ein Beispiel: Wird die digitale Technologie "Teilflächenspezifische Düngung" im Grundlagenfach Pflanzenernährung eingeführt, können mehr Studierende erreicht werden als zu einem späteren Zeitpunkt in einem speziellen Vertiefungsfach zu digitalen Technologien.

Auf ein weiteres Problem wies Prof. Michael Brinkmeier hin: "Auch wenn wir morgen neue Lehrpläne hätten, wir hätten keine Lehrer, die dieses Wissen vermitteln können." Die eigentliche Herausforderung sei, Lehrkräfte so weiterzubilden, dass sie in der Lage sind, auch für sie neue Inhalte kompetent zu unterrichten. Derzeit hängt vieles von der Eigenmotivation der Lehrkräfte ab, ohne dass ihnen spezielle Anreize oder Unterstützung angeboten werden. Um den Anforderungen an die Informatik in der Agrarbildung gerecht werden zu können, seien sowohl reduzierte Unterrichtsanteile im Lehrdeputat als auch verstärkte Weiterbildungsmaßnahmen für das Lehrpersonal unerlässlich.

Zusammenarbeit

Die fünf Diskutanten hielten darüber hinaus die Bereitstellung einer angemessenen materiellen Ausstattung für essenziell. Mit Blick auf fehlende Lehrkräfte sollten sich Arbeitgebende im öffentlichen Dienst nicht auf Agraringenieure als Lehrpersonal beschränken, gerade wenn sie geeignete Fachleute mit anderen Berufsabschlüssen beschäftigen. Auch eine intensive Zusammenarbeit und der Ideenaustausch in divers zusammengestellten Teams kann die Bildung sowohl an Fach- als auch an Hochschulen signifikant verbessern und Studierenden enorme Vorteile bringen.

Das Fazit der Podiumsdiskussion: Wenn erwartet wird, dass Arbeitende auf landwirtschaftlichen Betrieben auch digitale Technologien verstärkt einsetzen, müssen Bildungsprofis in die Lage versetzt werden, entsprechende Angebote zu unterbreiten. Es gibt bereits vielversprechende Ansätze, doch um flächendeckend ein passendes Bildungsangebot zu digitalen Technologien in der Landwirtschaft vorlegen zu können, muss auf allen Ebenen digitales Verständnis vermittelt und gefördert werden. Dazu gehört auch, Expertise von außerhalb einzubeziehen. Hier gilt es vor allem, entsprechende Ressourcen zur Verfügung zu stellen und bei der Entwicklung von Lösungsansätzen über den eigenen Tellerrand zu schauen und zusammenzuarbeiten.


Literatur

Statistisches Bundesamt, Fachserie 3 Reihe 2.1.8, Tabelle 6020 R (jeweils ohne Gartenbau und Dauerkulturen) zu den Landwirtschaftszählungen 2016 und 2020