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Wie kann es gelingen, das Lernfeldkonzept erfolgreich als didaktische und methodische Innovation in der Berufsschule zu etablieren?
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Die Implementation von Neuerungen und Innovationen an berufsbildenden Schulen scheint oftmals auf nahezu unüberwindbare Hürden zu treffen. Für den Erfolg von Implementationsprozessen bei didaktischen, methodischen oder gar schulorganisatorischen Neuerungen müssen oft tradierte Abläufe überwunden und geeignete und engagierte Multiplikatoren im Schulwesen gefunden werden. Beim Lernfeldkonzept bietet es sich nach wie vor an, einen wissenschaftlichen Blick darauf zu werfen und mögliche methodische Aspekte bei der Einführung anzustoßen. Die wissenschaftliche Arbeit sollte bereits diagnostizierte Problembereiche bei Neueinführungen von lernfeldorientierten Lehrplänen (vgl. Bader, Kremer, Sloane, Tenberg, Riedl) weiter eingrenzen. Dabei galt es, wachsenden Beharrungstendenzen bei den beteiligten Personengruppen (Makro-, Meso- und Mikroebene) durch direkte und indirekte Maßnahmen möglichst wenig Nährboden zu geben und den Prozess für die "Player" transparent zu gestalten.

Hintergründe

In Deutschland werden lernfeldorientierte Lehrpläne seit mehr als 20 Jahren implementiert. Dem Lernfeldkonzept geht keine wissenschaftliche Entwicklung, respektive Fundierung voraus. Vielmehr bildete das Konzept vonseiten der Ständigen Konferenz der Kultusminister (KMK) ein vorgegebenes Konstrukt, welches bildungsplanerische Absichten, bildungspolitische Interessen aber auch curriculare Prinzipien berücksichtigt (Bader 2014, 29 f).

Die bildungsplanerische Absicht bestand und besteht bis heute darin, dass die ab 1996 eingeführten Rahmenlehrpläne unterrichtliche Innovationen und regionale Besonderheiten stärker berücksichtigen sollten. Dabei galt es, die Lehrpläne langlebiger zu gestalten und einen direkten Übertrag der KMK-Vorgaben in den Bundesländern, im Besonderen an den Schulen, zu gewährleisten. Das bildungspolitische Interesse liegt in einer intensiveren Kooperation der dualen Lernorte Berufsschule und Betrieb.

Durch eine stärkere Vernetzung der KMK-Rahmenlehrpläne der Berufsschule mit den Ausbildungsordnungen (betriebliche Ausbildung) besteht die Chance, die Akzeptanz des "Players" Berufsschule im dualen System in Deutschland zu erhöhen.

Ein zusätzlicher Aspekt – als curriculares Grundprinzip – ist der Einzug der Kompetenzorientierung in den berufsschulischen Unterricht, wofür in den jeweiligen Bildungsgängen bis heute ein großer Diskussions- und Klärungsbedarf besteht. Handlungskompetenz als Grundorientierung beruflichen Lernens setzt sich aus der Fach-, Human- (Selbst-) und der Sozialkompetenz zusammen. Methoden-, Kommunikations- und Lernkompetenz kommen als Querschnittkompetenzen hinzu. Für den Kompetenzerwerb orientieren sich anvisierte Lernfelder an beruflichen Tätigkeitsgebieten (Handlungsfelder).

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Chancen ungenutzt

Aus schulorganisatorischer und unterrichtlicher Sicht zeigte sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte, dass wenig konzeptkonforme Umsetzungsversuche auffindbar sind und oftmals lediglich eine "Umformulierung" der bisher bekannten Unterrichtsfächer erfolgte/erfolgt (Riedl 2018, S. 81; vgl. Kremer 2013; Tenberg 2018). Bei näherer Betrachtung des Grundproblems liegt die Annahme auf der Hand, dass Brüche im Multiplikationsprozess bei Implementationen anscheinend eine Ursache dafür bilden, dass Innovationspotenziale nicht vollständig ausgeschöpft werden können und damit die Chance des Lernfeldkonzepts bis heute ungenutzt bleibt (Eder 2019). 

Ausgangspunkt für den vorliegenden Beitrag bildet die Forschungsarbeit zur "Implementierung des Lernfeldkonzepts im landwirtschaftlichen Unterricht in Bayern" (vgl. Eder 2019) im Zeitraum von November 2014 bis Oktober 2018. Der Rahmenlehrplan im Ausbildungsberuf "Landwirt/-in" (erstes bis drittes Ausbildungsjahr) besteht seit 1994 (Kultusministerkonferenz 27.10.1994) beziehungsweise seit 1997 (Rahmenlehrplan für das Berufsgrundbildungsjahr im Fachbereich Agrarwirtschaft (erstes Ausbildungsjahr), vgl. Kultusministerkonferenz 5.12.1997). Diese Grundlagen bilden die Basis für mögliche bundeslandinterne Lehrplanregelungen. Dabei ist es den einzelnen Kultusbehörden in den Ländern freigestellt, die bundesweiten Lehrplanvorgaben landesintern zu überführen oder ländereigene Lehrpläne zu erarbeiten. Das Bundesland Bayern erarbeitete einen eigenen, länderinternen Lehrplan, welcher von September 1996 bis August 2016 gültig war.

Die lange, 20-jährige Bestehenszeit des Lehrplans war Grund genug, vonseiten des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus (StMUK) in Abstimmung mit dem Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (StMELF) die landesinterne Lehrplanregelung zu reflektieren und diese auf eine lernfeldorientierte Planungsgrundlage umzustellen. Damit konnte bayernweit die Anpassung des landwirtschaftlichen Lehrplans auf derzeit übliche Standards in weiteren Berufsfeldern erfolgen. Der übliche Standard ist heute, in den Lehrplanvorgaben Lernfelder zu formulieren. Darüber hinaus schien es angebracht, die fachlichen Inhalte auf Aktualität hin zu reflektieren und intensiver auf persönlichkeitsbildende Aspekte in der berufsschulischen Ausbildung einzugehen. Eine Anpassung des Rahmenlehrplans auf KMK-Ebene im Ausbildungsberuf Landwirtin/ Landwirt steht bis heute aus. 

Der Übertrag eines fachsystematischen Lehrplans in einen lernfeldorientierten Lehrplan war und ist meist flankiert von Implementationsproblematiken mit dem Resultat, dass die Komplexität und das Potenzial des Lernfeldkonzeptes im Kontext schulischer und unterrichtlicher Entwicklungen bisweilen ausgeblieben ist beziehungsweise ausbleibt. So kommen meist nur Teilaspekte des Lernfeldkonzeptes bei den Verantwortlichen für die Lehrplanumsetzung, also bei den Lehrkräften an den einzelnen Schulstandorten an (vgl. Riedl 2015). Die selektive Multiplikation von lernfeldorientierten Lehrplänen ist somit stark an der beauftragten Institution/Person und ihrer Auffassung ihrer Lehrerprofession/-haltung gekoppelt.

Nach Sloane und Kremer lassen sich die im Implementationsprozess beteiligten Personengruppen in verschiedenen Ebenen einteilen (s. Tabelle). Das hier aufgeführte beispielhafte wissenschaftliche Vorgehen erweitert für den hier vorliegenden Implementationsvorgang die beteiligten Personengruppen (Stichprobe) analog zu den administrativen Rahmenbedingungen in Bayern. Die Makroebene wird um die Vorgaben der KMK, das heißt die Rahmenlehrpläne des Bildungsganges ergänzt. Die Mesoebene umfasst auch die Schulaufsichtsbehörde in den jeweiligen Regierungsbezirken in Bayern. Die Mikroebene erfasst zum einen die Schnittmenge an Personen, die in der Lehrplankommission an der Entwicklung des Lehrplans beteiligt sind, zum anderen auch gleichzeitig die Verantwortlichen der Fachabteilungen (Eder 2019, S. 25). So lassen sich nach dem Literaturstudium und aus den Erfahrungen vergangener "Postimplementationsbegleitungen" (wissenschaftliche Begleitung einer Lehrerqualifizierung nach vollzogener Lehrplaneinführung) eindeutige Brüche in den Prozessen diagnostizieren (s. Abbildung 1).

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Kommunikationsbruch

Die Grundidee zum Lernfeldkonzept war von je her wenig oder oftmals nicht einheitlich transportiert worden (Riedl 2015, S. 130). Bader betont, dass das Lernfeldkonzept bei der Ausdifferenzierung der Begriffe „Handlungskompetenz“ und „Handlungsorientierung“ innerhalb einer Arbeitsgruppe an der KMK zu keinem Zeitpunkt Gegenstand einer fachlichen Diskussion war. "Konzeptionelle Vorstellungen zum Lernfeld und zu seiner strukturbildenden Funktion […] standen nicht mehr, zumindest grundlegend in Frage" (Bader 2014, S. 27). Dies könnte seit der Einführung des Lernfeldkonzeptes ein Grund dafür sein, dass die Multiplikation der KMK-Vorgaben zu den Lehrplankommissionen in den Ländern den ersten großen Kommunikationsbruch darstellt. 

Die daraus erwachsenen Widerstände (zum Beispiel unklare Begrifflichkeiten, Idee und Umsetzungsmöglichkeiten bleiben unbeleuchtet, unterrichtliche und schulorganisatorische Konsequenzen u.v.m.) bei Bildungsgangverantwortlichen und den Lehrkräften lassen sich nur über wohlüberlegte Implementationsvorgänge aufbrechen und dabei eine konstruktive Arbeitshaltung erzeugen. Somit lässt sich ein erster massiver "Bruch" zwischen der Makro- und Mesoebene in den Kommunikations- und Implementationsverfahren feststellen.

Diese zu diesem Zeitpunkt somit bereits lückenhafte Multiplikationsgrundlage ist Basis für den weiteren Kommunikationsprozess zwischen der Meso- und der Mikroebene. Weitere Gründe für brüchige Multiplikationsprozesse liegen in der Auswahl der Kommissionmitglieder bei der Erstellung der landesinternen Vorgaben und bei der individuellen Haltung der Lehrkraft gegenüber der Innovation in der Fachabteilung. Dieser zweite, eindeutige "Bruch" bei den Multiplikationsvorhabens entzieht einer konzeptkonformen Umsetzung von didaktischen Neuerungen nahezu jede Grundlage (Eder 2019, S. 274).

Außerdem verstärkt die fehlende Erarbeitung und Entwicklung des Lernfeldkonzeptes auf Grundlage wissenschaftlicher profunder Erkenntnisse eine kritische Haltung bei Lehrkräften. Dementsprechend hat die Wissenschaft bisher nur die Möglichkeit, punktuell nachzujustieren. Somit lassen sich die bei den für die Umsetzung zuständigen Personenkreisen anzutreffenden, über 20 Jahre gewachsenen und verselbstständigten Vorbehalte bezüglich des Lernfeldkonzeptes nur sehr schwer einfangen. Ein Gegensteuern scheint nur sehr schwer möglich zu sein (vgl. Bader und Sloane 2002; Riedl 2015).

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Vorurteile revidierbar

Der dem Beitrag zugrundeliegende Forschungsprozess und entwickelte exemplarische Implementierungsverlauf (s. Abbildung 2) bedachte die beschriebenen Widerstände und konnte die Kommunikationshürden stark senken. Bei den Beteiligten des Forschungsprojektes zeigte sich aber, dass sich – entgegen der bisherigen wissenschaftlichen Auffassung – gewachsene Meinungen und Vorurteile revidieren und durch eine transparente Kommunikation und ein Bottom-up-Verfahren gelungene Implementationsprozesse realisieren lassen.

Diese verschiedenen Zugänge/Ausgangslagen motivieren, zusammen mit den beteiligten Personengruppen in Implementationsprozessen Innovationen zu konzipieren, einzuführen und durch eine wissenschaftliche, evidenzbasierte Begleitung in ad-hoc-Analysen oder durch geleitete Forschungsdesigns einen Wissenszuwachs für weitere Forschungsansätze zu generieren.

Die Forschungsarbeit unterstreicht die Anregungen führender Berufspädagogen zu Implementationsvorhaben und den Erkenntnissen zum Lernfeldkonzept und erweitert diese um neu definierte, ebenenübergreifende Konstruktions- und Implementationsprozesse in Verbindung mit der Entwicklung länderspezifischer Lehrpläne. Somit konnten durch die wissenschaftliche Begleitung früher wissenschaftlich beschriebene Hürden überwunden werden.

Durch die Kombination aus einem bundesweiten Top-down-Verfahren hinsichtlich KMK-Vorgaben und einem sich anschließenden Bottom-up-Verfahren in den einzelnen Bundesländern bei der Einführung von didaktischen und methodischen Innovationen, können diese und die damit verbundenen progressiven Ideen mit den Lehrkräften gestaltet werden und eine nahezu konzeptkonforme Umsetzung könnte gelingen. 

Nun steht die Überprüfung des Umsetzungsgrades des neuen Lehrplanes in Bayern an. Hierbei soll erhoben werden, inwieweit der Lernfeldansatz tatsächlich nahezu konzeptkonform umgesetzt werden konnte oder ob sich "tradierte Muster" im berufsschulischen Unterricht wieder eingeschlichen haben.  Ein Übertrag dieses Forschungsprozesses auf einen bundesweiten Ansatz zur Reflexion der Grünen Berufe und für eine gewinnbringende didaktische Diskussion, um die Ausbildung auch zukünftig attraktiv zu gestalten, wäre wünschenswert.

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Literatur

Bader, R. (2014): Das Lernfeldkonzept. Probleme und Erfahrungen mit der Implementation einer schwierigen Innovation. In: Ulrich Braukmann (Hg.): Wirtschaftspädagogische Handlungsfelder. Festschrift für Peter F.E. Sloane zum 60. Geburtstag. Detmold, S. 27–39.

Bader, R.; Sloane, P. F. E. (Hg.) (2002): Bildungsmanagement im Lernfeldkonzept. Curriculare und organisatorische Gestaltung. Paderborn.

Eder, A. (2019): Implementierung des Lernfeldkonzepts im landwirtschaftlichen Unterricht in Bayern. Berlin: Peter-Lang Verlag (Beiträge zur Arbeits-, Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Band 37).

Kremer, H.-H. (2013): Paradigmen in der Curriculumtheorie: Das Lernfeldkonzept im Kontext der Input-Output-Diskussion. In:  Fischer, A. (Hg.): Vielfalt in Übergängen in der beruflichen Bildung. Zwölf Ansichten. Das Lernfeldkonzept im Kontext der Input-Output-Diskussion, Baltmannsweiler, S. 185–202.

Kremer, H.-H.; Sloane, P. F. E. (2001): Lehrerrolle und Lernfeldkonzept. In: Bader, R. (Hg.): Modernisierung der Berufsbildung in Europa, Opladen, S. 97–105.

Riedl, A. (2011): Didaktik der beruflichen Bildung, Stuttgart.

Riedl, A. (2015): Unterricht im Lernfeldkonzept an beruflichen Schulen – aktuelle Herausforderungen und Realisierung in der gewerblich/technischen Berufsbildung. In: Seifried, J.; Bonz, B. (Hg.): Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Hohengehren, S. 127–148.

Riedl, A. (2018): Technikdidaktik in der beruflichen Bildung. In: Zinn, B. (Hg.): Technikdidaktik. Eine interdisziplinäre Bestandsaufnahme, Stuttgart, S. 71–86.

Tenberg, R. (2018): Technisches Lehren und Lernen an Berufsschulen/Berufskollegs. In: Zinn, B. (Hg.): Technikdidaktik. Eine interdisziplinäre Bestandsaufnahme, Stuttgart, S. 257–277. .

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