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Der neueste Sachstandsbericht des Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change, 2022) zeigt auf, dass nur durch gezielte Klimaanpassungsmaßnahmen wie die Weiterentwicklung pflanzenbaulicher Produktionssysteme die Produktion qualitativ hochwertiger Nahrungsmittel, Futtermittel und Rohstoffe zukünftig in ausreichendem Maße gewährleistet werden kann. Pflanzenbauliche Anpassungsstrategien umfassen dabei die Diversifizierung der Fruchtfolgen und den verstärkten Anbau von bisher wenig verbreiteten Kulturen. Dabei sind Kulturen und Sorten, die hitze- und trockenheitstoleranter sind und mit Krankheiten und Schädlingen besser zurechtkommen, von besonderer Bedeutung.

Die Kulturarten Lupine, Kichererbse, Soja und Buchweizen weisen eine hohe Hitze- und Trockentoleranz auf und erhöhen durch Diversifizierung der Fruchtfolge die Resilienz der Pflanzenproduktion gegenüber den Folgen des Klimawandels. Allerdings fehlt es bei diesen Kulturen an Informationen zur Produktivität, an der Anbauerprobung und an Entscheidungshilfesystemen zur Optimierung und Ausgestaltung standortspezifischer Anbausysteme, um regionalspezifische Risiken und Chancen aufzuzeigen und vielversprechende Anpassungsstrategien abzuleiten.

Anbaupotenzial

In dem im April 2024 gestartetem Forschungsprojekt MINOR+ wird mittels modellbasierter Entscheidungsunterstützung das Anbaupotenzial von Lupine, Kichererbse, Soja und Buchweizen in verschiedenen Regionen in Deutschland untersucht. Bislang bestehen im Anbau dieser Kulturarten zahlreiche Wissenslücken in der landwirtschaftlichen Praxis. So hat zum Beispiel der Anbau der Lupine in Deutschland in den vergangenen Jahren aufgrund ihrer geringen Ertragsstabilität nur leicht zugenommen: von rund 24.000 Hektar in 2010 auf rund 26.000 Hektar in 2023 (BLE, 2023).

Analog zur Lupine wird bislang auch die Kichererbse in Deutschland nur in geringem Umfang angebaut, zählt aber weltweit zu den am meisten angebauten Hülsenfrüchten (nach Soja, Bohnen und Erbsen). Anders verhält es sich bei Soja. Begünstigt durch den Klimawandel und die Züchtung neuer, angepasster Sorten konnten in den letzten Jahren auch in Deutschland Sojabohnen mit wirtschaftlichem Erfolg angebaut werden. Allerdings fehlt es auch hier noch an konkreten Sortenempfehlungen auch in Bezug auf die verfügbaren Reifegruppen.

Ebenso wie bei den drei Leguminosen hat der Anbau von Buchweizen als glutenfreie Körnerfrucht in den vergangenen Jahren in Deutschland an Aufmerksamkeit gewonnen, wobei die bislang niedrigen Erträge von rund 20 Dezitonnen pro Hektar die Anbauattraktivität schmälern. Die Verbesserung der Anbausysteme für die genannten Kulturarten stellt einen entscheidenden Faktor für ihren erfolgreichen Anbau dar. Im Projekt kommen daher Agrarökosystemmodelle zum Einsatz, mit deren Hilfe verschiedenste pflanzenbauliche Anpassungsmaßnahmen getestet und der Anbauerfolg der jeweiligen Kulturart in unterschiedlichen Regionen hinsichtlich Ertragsniveau und -stabilität bewertet werden kann. 

Durch eine verbesserte Ausnutzung des standortspezifischen Ertragspotenzials werden zudem Zielkonflikte zwischen Maßnahmen zum Klimaschutz und der Produktion pflanzlicher Erzeugnisse zur Ernährungssicherung minimiert. Die modellbasierte Entscheidungsunterstützung kann außerdem helfen, Betriebsmittel im Pflanzenbau effizienter und nachhaltiger einzusetzen – mit positiven Effekten auf Planbarkeit, Management sowie ökonomische und ökologische Leistungen des Anbaus (Risikominimierung).

Anbauerprobung

Zur gezielten Anbauerprobung und Datenerhebung für die Modelle werden in zwei verschiedenen Regionen in Deutschland an den Versuchsstandorten des Julius Kühn-Instituts (JKI) in Kleinmachnow/Berlin (Nordosten Deutschlands: leichter Boden und trocken) und der Uni Hohenheim (Südwesten Deutschlands: warm und feucht) in dreijährigen Feldversuchen die Effekte von Sorte, Aussaattermin sowie Bewässerung auf die Entwicklung, das Wachstum sowie den Ertrag und verschiedene Ertragskomponenten bei diesen vier Kulturarten untersucht. Das JKI bearbeitet hierbei die Kulturen Soja und Blaue Lupine und die Uni Hohenheim die Kulturen Buchweizen und Kichererbse. Die erhobenen Daten fließen in das generische Modell CROPGRO (Boote et al., 1998) ein. Das Modell liefert die Grundstruktur für die Simulation relevanter Wachstums- und Entwicklungsprozesse der Zielkulturen unter Berücksichtigung ihrer phänologischen (das Erreichen bestimmter Entwicklungsstadien wie z. B. Einsetzen der Blüte), morphologischen (Form und Struktur der Pflanze) und physiologischen (allg. Funktionsabläufe wie Photosynthese) Eigenschaften.

Anbauberatung

Um das Anwendungspotenzial des entwickelten Modells zur Entscheidungsunterstützung zu demonstrieren, werden darüber hinaus auf Praxisbetrieben schlagspezifisch Ertragspotenziale unter derzeitigen Klimabedingungen untersucht und pflanzenbauliche Anpassungsmöglichkeiten vom Projektpartner Landberatung GmbH unter konventionellen und ökologischen Anbaubedingungen auf Praxisbetrieben untersucht. Ziel der Versuche ist die Demonstration der Kulturen und das Erproben relevanter Managementmaßnahmen, wie Sortenwahl, Saatzeitpunkt oder Aussaatstärke.

Im Zuge dieser Arbeiten werden Beraterinnen und Berater in der Anwendung des DSSAT-Modells (Decision Support System for Agrotechnology Transfer) geschult, sodass das Modell nach Projektabschluss zur Anbauberatung bei den Kulturen genutzt werden kann. Im letzten Projektjahr ist weiterhin ein Feldtag unter Beteiligung der Wissenschaft und landwirtschaftlichen Praxis geplant, der den Nutzen und die Funktionsweise der Agrarökosystemmodelle für die Anbauplanung aufzeigen soll. Durch die Einbindung von Landwirtinnen und Landwirten mit ihrer Expertise, ihrem Know-how und ihren Kenntnissen sowie das Zusammenspiel von Standort, Kulturarten- und Sortenwahl wird ein essenzieller Beitrag zur erfolgreichen Anpassung pflanzlicher Produktionssysteme an den Klimawandel erwartet. Da dieser gemeinsam mit der Praxis entwickelt wird, sichert er eine hohe Praxisrelevanz und den möglichst schnellen Transfer der Erkenntnisse in die Anwendung.

Schulungsmaterialien

Im Projekt werden weiterhin konkrete Konzepte und Handlungsempfehlungen für die im Fokus stehenden vier Kulturarten basierend auf den erhobenen Daten und Modellsimulationen sowie publizierten Versuchsdaten entwickelt. Durch die Bereitstellung von Schulungsmaterialien, Newslettern, Erklärfilmen oder kurzen Podcasts können zukünftige Beteiligte ausgebildet und im Anbau der Kulturen geschult werden. 

Die erstellten Materialien können zudem in der fachlichen Ausbildung von Landwirtinnen und Landwirten, zum Beispiel an landwirtschaftlichen Fachschulen, eingesetzt werden und stehen nach Projektabschluss der Öffentlichkeit zur Verfügung. Das Projekt leistet somit einen wichtigen Beitrag zur Steigerung der Kompetenz der Landbewirtschaftenden, um notwendige Veränderungsprozesse zur Anpassung an den Klimawandel und Transformation der Landwirtschaft managen zu können. 


Die Förderung des Vorhabens erfolgt aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) aufgrund eines Beschlusses des deutschen Bundestages. Die Projektträgerschaft erfolgt über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), Förderkennzeichen 2823ABS050-52.


Literatur

Boote, K.J.; Jones, J.W.; Hoogenboom, G. et al. (1998): The CROPGRO model for grain legumes. In: Tsuji, G.Y.; Hoogenboom, G.; Thornton, P.K. Hrsg.): Understanding Options for Agricultural Production. Systems Approaches for Sustainable Agricultural Development, vol 7. Springer, Dordrecht. doi.org/10.1007/978-94-017-3624-4_6 (Abruf: 07.05.2024)

BLE 2023:https://www.bmel-statistik.de/landwirtschaft/bodennutzung-und-pflanzliche-erzeugung/huelsenfruechte (Abruf 09.05.2024)

Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) (2022): Impacts, Adaptation and Vulnerability. Contribution of Working Group II to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge (UK), New York (USA). www.ipcc.ch/report/ar6/wg2/ (Abruf: 08.05.2024)