THEMEN IN DIESEM BEITRAG

Globale und regionale Herausforderungen wie Klimawandel, Digitalisierung, Ressourcen- und Artenschutz, Ernährungssicherung, Landflucht, starke Rohstoff-Preisschwankungen oder weit verbreitet fehlende Alltagskompetenzen erfordern mehr Innovationen oder notwendige Anpassungen. Bei Innovationen geht es jedoch nicht nur um die Entwicklung einer neuen Idee oder einer Lösung für ein Problem, sondern vor allem darum, dass sie in der Breite Anwendung und eine sinnvolle und nachhaltige Nutzung erfahren. Der Nutzen für die Branche wie auch für die Gesellschaft kann dabei ökologischer, ökonomischer oder sozio-kultureller Art sein. In jedem Fall entsteht kommunizier- und bewertbare Wertschätzung, zum Beispiel durch höhere Verkaufszahlen eines neuen Produktes, durch erlebbaren Natur- oder Umweltschutz, verbesserte (Produktions-)Prozesse, stark nachgefragte Dienstleistungen oder neue Geschäftsmodelle.

Im Rahmen der InnoTour, die das Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (StMELF) coronabedingt nicht wie geplant 2020, sondern erst im Juni 2021 gestartet hat, sollen bereits vorhandene, nachhaltige, gesellschaftlich akzeptierte und ökonomisch realisierbare Lösungen aus Land-, Haus- und Forstwirtschaft, Gartenbau, Ernährung und Ländlicher Entwicklung mit breiter Anwendbarkeit, Mehrwert und Leuchtturmcharakter in ganz Bayern exemplarisch vorgestellt und diskutiert werden. Schwerpunktthemen wie Biodiversität, Wertschöpfungsketten und Diversifizierung, Emissionsreduktion in der Tierhaltung, Tierwohl, Digitalisierung, Klimawandel und Klimaanpassung, Vermarktung, Bewässerung, innovative Technik, zukunftsfähiger Acker- und Waldbau stehen dabei im Fokus. Es gibt eine Vielzahl an Beispielen, welche die bayrische Agrar- und Forstwirtschaft durch Diversifizierung und Vernetzung, Wertschöpfungssteigerung und verbesserte Infrastruktur stärken. In jedem der sieben Regierungsbezirke findet eine ein- bis zweitägige Veranstaltung mit exemplarisch ausgewähltem Thema auf einem Betrieb/einer Produktionsstätte mit Innovationscharakter statt.

Partizipation

Bei der InnoTour geht es besonders darum, die Praktizierenden und Nutzenden von Innovationen stärker in den Mittelpunkt von Innovationsprozessen zu stellen. Dahinter steckt auch der Gedanke, dass viele innovative Ideen in der Praxis beziehungsweise aus der Praxis heraus entstehen. Mit einer partizipativen Herangehensweise bei der Entwicklung von Innovationen lassen sich durch die Beteiligung aller relevanten Akteure Co-Kreationsprozesse (s. B&B Agrar, Online-Beitrag, 27.5.2020, "Innovation als Lernprozess verstehen") anstoßen. Von Beginn an sollen dabei verschiedene Gruppen aus der Land- und Forstwirtschaft, aus Unternehmer- und Verbraucherkreisen, Forschung und Beratung, Verwaltung und Verbänden vernetzt und in den Austausch gebracht werden.

Pro Veranstaltung gibt es daher eine ausgewählte interdisziplinäre Diskussions- und Arbeitsgruppe (Multi-Akteurs-Gruppe, die mit dem jeweiligen Thema mittel- oder unmittelbar betroffen ist). Co-Kreation bedeutet, von Beginn an Innovationen gemeinsam in interdisziplinären Gruppen zu entwickeln. Besonders wertvoll an diesem Format ist, dass die verschiedenen Akteursgruppen (Praktiker, Berater, Wissenschaftler, Dienstleister etc.) die Innovation aus ihrer jeweiligen Perspektive beschreiben und dabei gegenseitig im Austausch sehr viel voneinander lernen. Die ausgewählten Beispiele der InnoTour demonstrieren solche Co-Kreationsansätze in unterschiedlicher Qualität.

Die Auswahl der Themen beziehungsweise der innovativen Betriebe erfolgte auf Basis eines standardisierten Katalogs mit folgenden Kriterien:

  • „ökonomischer, ökologischer, sozialer Nutzen,
  • gesellschaftlicher Nutzen wie Nachhaltigkeit, Bedeutung der Innovation für Bayern,
  • Realisierbarkeit,
  • Ressourceneffizienz,
  • Digitalisierung,
  • Tierwohl.

Der Ablauf ist strukturiert und wird moderiert. Im ersten Teil wird versucht, den Status quo zu erfassen. Im Zentrum steht eine Timeline, an der die bisherige Entwicklung der Innovation auf dem Betrieb nachvollzogen wird. Die Multi-Akteurs-Gruppe analysiert und hinterfragt den Prozess zur Innovation, um im zweiten Teil der InnoTour zu erfassen, welche Fragen offen sind und was notwendig ist, um die vorgestellte Idee marktfähig und in die breite Anwendung zu bringen. Im besten Fall werden Strategien entwickelt, um Einzellösungen zu verallgemeinern. Durch filmische Dokumentationen an den einzelnen Stationen entsteht eine "Sachbibliothek zu Innovation". Sie dient der Öffentlichkeitsarbeit nach innen und nach außen.

Innovative Praxis

Die erste Station war Schwaben mit dem Themenschwerpunkt "Nachhaltige Humusbildung". Die interdisziplinäre Akteurs-Gruppe beschäftigte sich mit Fragen, wie: "Kann der Humusgehalt im Boden gefördert werden, um die Bodenfruchtbarkeitnachhaltig zu steigern?" und "Ist der Humusgehaltein im Hinblick auf die CO2-Problematik und der zunehmenden Aktivitäten rund um den CO2-Zertifikatehandel ein relevantes Geschäftsmodell für die Landwirtschaft?"

Die aktuelle Initiative, in den Böden aktiv Humus aufzubauen und die Bodenfruchtbarkeit gezielt zu verbessern, geht von den Landwirtinnen und Landwirten aus. Getrieben wird das erstarkende Interesse an der Bodengesundheit der in der Landwirtschaft Tätigen durch stagnierende Erträge und zunehmende Extremwetterereignisse. Ziel sind resiliente Böden, die mit dem Klimawandel besser zurechtkommen – "ein Bottom-up-Prozess", wie Professor Bernhard Göbel von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf konstatiert, der auch das Interesse der Forschung geweckt hat.

Fazit der ersten Station der InnoTour in Schwaben: Das Wissen über produktionstechnische wie auch bodenphysikalische Zusammenhänge ist recht groß und deshalb auch gut diskutierbar. So lassen sich daraus sowohl für ökologisch wie auch konventionell wirtschaftende Betriebe Strategien zur Bodenverbesserung entwickeln. Dabei lagen Praxis und Wissenschaft nicht immer auf gleicher Linie, beispielsweise bei der Zuwachsmenge der Humusbildung bezogen auf die Zeit.

Eine Umstellung des Betriebes auf gezielte nachhaltige Humusbildung bedeutet betriebsorganisatorische Veränderungen, insbesondere bei Fruchtfolge und Bodenbearbeitung. Die sozialen und ökonomischen Aspekte wurden kaum diskutiert. Wenn es aber um Verbreitung innovativer Ideen geht, sind dies oft die entscheidenden Faktoren, um einen erfolgreichen Innovationsprozess in Gang zu setzen. Als konkrete Maßnahme wurde deshalb vereinbart, in Schwaben eine Interessengemeinschaft Boden zu starten und den Betriebsleiter der ersten InnoTour-Station, Daniel Pröbstle, als Referenten im örtlichen BiLa (Bildungsprogramm Landwirt)-Kurs aufzunehmen (BiLa, s. B&B Agrar, 4-2020, S. 28f).

Die zweite Station der InnoTour zum Themenschwerpunkt "Energieautarke Höfe" führte im September 2021 auf den Huber-Hof der Familie Demmel in Schönrain in der Gemeinde Königdorf in Oberbayern. Franz Demmel ist sowohl Bauingenieur, Umwelttechniker als auch Landwirt. Er hat in Zusammenarbeit mit der TU München, der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf und Elektronikfirmen ein Energiemanagementsystem (EMS) auf seinem Betrieb entwickelt. Es gibt bereits eine klare Vision, wie die Landwirtschaft unter anderem E-Traktoren als Batteriespeicher nutzen und über intelligentes bidirektionales Laden einen wesentlichen Beitrag zur Energiewende leisten kann. "Technisch ist das kein Problem. Die Technik dazu haben wir", so Hans-Jürgen Krieg vom IT-Systemhaus BEDM, das die Entwicklung von innovativen IT-Lösungen unterstützt.

 

Die Gruppe von Landwirtinnen und Landwirten, Forschenden, Beratungskräften sowie Vertreterinnen und Vertretern von Firmen und Verbänden war sich in der Analyse des Innovationsprozesses einig, dass das präsentierte EMS einen praxisreifen Prototyp darstellt. In der Innovationswerkstatt, dem InnoTour-Café, wurde in Gruppen herausgearbeitet, dass nun die regulatorischen Hürden in Sachen Netzentgelte und Normierung angegangen werden müssen, damit diese Innovation erfolgreich umgesetzt und in die Breite gebracht werden kann. Die Kooperation mit den Netzbetreibern und die Information über die Chancen und Funktionsweise von EMS auf landwirtschaftlichen Betrieben müssen in den nächsten Schritten forciert werden.

Deutlich wurde in den Diskussionen der gesellschaftliche Nutzen eines funktionierenden EMS im landwirtschaftlichen Unternehmen – sowohl langfristig bezogen auf die Energiewende als auch kurzfristig im Katastrophenfall oder bei Netzzusammenbrüchen. Dann könnten die hofeigenen Speicher als Reserve für einen kontinuierlichen langsamen Wiederaufbau des Netzes genutzt werden. Aber auch für die Landwirtschaft ergibt sich ein Nutzen. Es kann ein erhebliches Wertschöpfungspotenzial für den landwirtschaftlichen Betrieb und so ein erheblicher Beitrag zur Diversifizierung und Einkommenssicherung entstehen.

Unter der Themenüberschrift "Direktvermarktung 2.0" ging es Ende Oktober mit dem dritten Termin der InnoTour nach Mittelfranken in das Direktvermarkterdorf Gustenfelden, in dem drei landwirtschaftliche Betriebe (Obstbau Winkler, Hofmetzger Roßkopf mit Fleisch und Wurst sowie Milch- und Geflügelhof Wagner) und eine Mühle (Winkler-Mühle) eine außergewöhnliche Vermarktungskooperation auf die Beine gestellt haben. Mit großem Erfolg können sie in den vier Hofläden ein umfangreiches Sortiment an eigenproduzierten Lebensmitteln anbieten, das mit Produkten aus der Region wie Gemüse aus dem "Knoblauchsland" oder Kürbiskernöl vom benachbarten Kürbishof ergänzt wird. Die Kunden kommen aus einem Umkreis von rund 20 Kilometern aus Nürnberg, Fürth, Erlangen, Roth und Ansbach und schätzen den Erlebnischarakter beim Einkaufen. Nach außen hin treten die vier Direktvermarkter gemeinsam auf, inklusive einer gemeinsamen Homepage (www.gustenfelden.com).

Die interdisziplinäre Gruppe mit Experten aus der Praxis, der Beratung, Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung wie auch Vertretern von Verbänden diskutierte insbesondere im zweiten Teil der Veranstaltung künftige Perspektiven und worauf sich die Direktvermarktung einstellen muss. Deutlich wurde, verstärkt durch die Erfahrungen im Zeitraum der Corona-Pandemie, dass sich neue Trends entwickeln, auf die sich die Direktvermarktung einstellen muss, um nicht ins Hintertreffen zum Lebensmitteleinzelhandel zu geraten. Eine Weiterentwicklung der Direktvermarktung ist notwendig. Stichworte sind Onlinehandel, Automaten-, aber auch ab Feldverkauf, Bestell- und Lieferservice. Schwerpunkt dabei sind Regionalität, Saisonalität, Nachhaltigkeit, wie unverpackt und wenig verarbeitet, kurze Wege. Das sind auch die Merkmale, mit denen sich die Direktvermarktung zum Lebensmitteleinzelhandel differenzieren kann. Deutlich wurde, dass ein landwirtschaftlicher Unternehmer dies allein nicht schafft. Er braucht Partnerinnen und Partner sowohl im vertikalen, horizontalen wie auch lateralen Bereich. Dienstleistende in Logistik, Distribution und Softwarebereich können/ müssen eingebunden werden, auch mit dem Verständnis, dass alle Seiten einen Nutzen haben müssen (win-win-Situation). Das Verständnis der Direktvermarktung muss sich erweitern, um an der Wertschöpfungskette stärker partizipieren zu können.

Für 2022 sind weitere vier Stationen der InnoTour geplant.

Die Dokumentation inklusive informativer Videos zu den InnoTour-Terminen sind im Internet unter www.stmelf.bayern.de/innotour zu finden.