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Was ist ein Co-Kreationsprozess und wie unterscheidet er sich vom Wissenstransfer und der bisherigen Beratungsarbeit?
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Was ist ein Co-Kreationsprozess und wie unterscheidet er sich vom Wissenstransfer und der bisherigen Beratungsarbeit? Nachfolgend wird ein Modell vorgestellt, welches den Co-Kreationsansatz in einer Lernstufenleiter verortet und zu den bisher vorherrschenden Ansätzen des Wissenstransfers und der Beratung in Beziehung setzt.

Dieser Ansatz wird auch in den internationalen ländlichen Beraternetzwerken EUFRAS (European Forum for Rural Advisory Services), IALB (Internationale Akademie für Ländliche Beratung e.V.), ESEE (European Seminar on Extension and Education) und an der Staatlichen Führungsakademie für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Bayern (FüAk) intensiv diskutiert.

Immer wenn etwas neu ist, findet Lernen statt. Bei Innovationen wird etwas Neues entwickelt, werden Veränderungen impliziert und Anpassungsprozesse angestoßen. Lernen ist in Innovationsprozessen also unausweichlich. Innovation kann als Lernprozess verstanden werden. Die Lernperspektive hilft beim Verständnis, was Innovationen ausmacht und wie Innovationen erfolgreich umgesetzt werden können. Auch Beratung kann als Lernprozess verstanden werden, bei dem gezielt lösungsorientiertes Lernen, ausgehend von einer konkreten Problemsituation, stattfindet.

Bei der Entwicklung von Innovationen in einem partizipativen Co-Kreationsprozess, bei dem alle relevanten Akteure beteiligt werden, lernen die Akteure aus den verschiedenen Bereichen vor allem sehr stark voneinander (s. Abbildung 1). Forschende erfahren von den Bedürfnissen der zukünftigen Nutzerinnen und Nutzer, Praktikerinnen und Praktiker bringen Erfahrungen aus der pilothaften Anwendung ein, Entwickelnde lernen von beteiligten Firmen, wie ein nachhaltiges Geschäftsmodell zur Etablierung der Innovation aussehen könnte, vonseiten der Wissenschaft können die anderen Agierenden unter anderem den Stand der Forschung kennenlernen.

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Lernstufen

Um zu verstehen, was die Einführung und Verbreitung einer Innovation fördert oder behindert, ist es hilfreich, Erkenntnisse aus der Kommunikations- und Lernpsychologie zu nutzen. Die sechs Lernstufen "Wissen", "Können", "Akzeptieren", "Anwenden", "Beurteilen" und "Kreieren" dienen der Einordnung von Co-Kreationsprozessen und Innovationsberatung und setzen diese partizipative Innovationsentwicklung in Bezug zu Beratung und Wissenstransfer.

Abbildung 2 zeigt den Lernprozess mit sechs Lernstufen (vom Wissen bis zum Kreieren), ergänzt um zentrale Aspekte der jeweiligen Lernstufe. Daneben sind die drei am Innovationsprozess beteiligten Bereiche Wissenschaft, Beratung und Praxis dargestellt. Die Innovationsverbreitung (unten im Bild) mit dem Pfeil nach rechts symbolisiert, dass die Innovationsverbreitung auf die Praxis zielt. Diese Anordnung steht letztendlich auch für das nach wie vor verbreitete Wissenstransfermodell, wonach der Wissenstransfer ausgehend von der Forschung über die Beratung zur Praxis läuft. Die Pfeile verdeutlichen die Beziehungen zwischen Forschung, Beratung und Praxis beim Wissenstransfer (Top-down) und in der Beratung. Die Co-Kreation ist als umfassender Bereich oben in der Grafik dargestellt. Andere Ansätze wie der Bottom-up-Ansatz, nach dem Innovationen verstärkt aus der Praxis aufgegriffen werden, sind hier aus Vereinfachungsgründen nicht dargestellt.

Die modellhafte Abfolge von Wissen, Können, Akzeptieren, Anwenden, Beurteilen und Kreieren ist eine Beschreibung der Entwicklungsschritte eines Innovationsprozesses aus der Lernperspektive. Diese Lernstufen im Innovationsprozess sind eine erweiterte Darstellung des Kommunikationsmodells: "Gesagt ist noch nicht gehört, gehört ist noch nicht verstanden" (Van den Ban 1974). In Kommunikationstrainings der FüAk wird dieses Modell häufig verwendet und als Fallstricke bezeichnet. Die Lernstufen lehnen sich auch an die nach Komplexität geordneten, aufeinander aufbauenden Kompetenzniveaus aus der Taxonomie von Lernzielen nach Bloom (1976) und Anderson/Krathwohl (2001) an.

In den Lernstufen des Innovationsprozesses finden sich die drei Lernebenen, das kognitive Lernen, das psychomotorische Lernen und das affektive Lernen (Taxonomie von Lernzielen nach Bloom) wieder. Diese Lernebenen sind in diesem Modell zur Vereinfachung einzelnen Lernstufen zugeordnet, wie das kognitive Lernen der Wissensstufe. Wissen entsteht nach Aamodt und Nygard durch die Anwendung von Information.

Eine besondere Rolle spielt im Innovationsprozess die Stufe "Akzeptieren", denn jede Neuerung löst Widerstände aus. Das liegt daran, dass durch neue Verfahren, Verhaltensweisen, Anwendung von Produkten oder Dienstleistungen althergebrachte, oft langjährig bewährte Praktiken infrage gestellt werden. Somit wird durch das Neue auch eigenes Tun infrage gestellt. Widerstand gegen Neues ist also vorprogrammiert. In der Gestaltung von Lernprozessen kann diese Lernstufe bewusst bearbeitet werden.

In der Lernstufe "Anwenden" wird in Pilotversuchen erstmalig etwas ausprobiert und Praxiserfahrung gesammelt. Bis eine neue Verhaltensweise oder Praxis auch tatsächlich beibehalten wird und sich etabliert, kann es sein, dass ein weiter Weg zurückgelegt werden muss.

Um komplexe Vorgänge beurteilen zu können, sind in der Regel fundierte Erfahrungen in einem Fachgebiet erforderlich, zum Beispiel wird von Projekt-Evaluierenden vorausgesetzt, dass sie ausgewiesene Experten ihres Fachgebietes sind.

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Hohes Kompetenzniveau

Innovationen entstehen auf der Stufe "Kreieren". Hierzu gehören zwei Bestandteile: die Entwicklung von Ideen und die schöpferische Gestaltung durch Neukombination und Vernetzung.

Die Innovationsverbreitung wird hier nicht in Form der Adoptionskurve beziehungsweise der Übernahmerate von Neuerungen dargestellt (Rogers 2003). Vielmehr werden die klassischen Verbreitungsansätze Beratung und Wissenstransfer den wesentlichen Lernstufen zugeordnet. Zur Einordnung und zum Vergleich mit diesen geläufigen Vorgehensweisen wird der Co-Kreationsprozess, begleitet durch die Innovationsberatung im Sinne der Förderung von partizipativen und interaktiven Innovationsprozessen, ebenfalls den Lernstufen zugeordnet.

Im Wissenstransfer als Top-down-Prozess wird Wissen in Forschung und Entwicklung (F+E) produziert. Dieses wird zu den Nutzern in die Praxis transferiert. Die Lernstufen "Können", "Akzeptieren", "Anwenden" und "Beurteilen" werden übersprungen. Möglicherweise ist das ein weiterer Grund, warum die Verbreitung von exzellenten Forschungsergebnissen und Entwicklungsprojekten häufig nicht nachhaltig gelingt.

Beratung kann als Lernprozess verstanden werden, in dem ein Beratender mit einem Klienten aus der Praxis ausgehend von einem Problem an Lösungen arbeitet. Der Beratende hat dabei die Aufgabe, das Wissen aus Forschung und Entwicklung zu erfassen, zu filtern und zielgerichtet einzusetzen. Dadurch entsteht ein individualisierter Wissenstransfer, der sich schwerpunktmäßig auf die Lernstufen "Akzeptieren" und "Anwenden" konzentriert.

In jüngerer Zeit wird zunehmend ein neues Konzept der Innovationsverbreitung diskutiert, nämlich der Co-Kreationsprozess (Wielinga, Robijn 2019). Im EU-Projekt i2connect (Qualifizierung von Beratenden in Innovationsmethoden) werden ausgehend von diesem Paradigma europaweit Berateraus- und -fortbildungen angeboten. Bildlich gesprochen gehen "F+E" gemeinsam mit der Praxis und Beratenden auf eine Entdeckungsreise. Dieses gemeinsame "Neue Wege gehen" läuft insbesondere auf den Lernstufen "Beurteilen" und "Kreieren" ab.

Beide Bereiche, der Wissenstransfer und die Beratung werden dadurch nicht obsolet. Sie werden nach wie vor dringend gebraucht. Sie ergänzen sich mit dem Co-Kreations-Ansatz und mit der Innovationsberatung. Es ergibt sich ein rundes Bild einer Innovationslandschaft, in der sich die Chancen für die erfolgreiche Einführung und Etablierung von Innovationen durch eine professionelle Begleitung in der Kombination von Wissenstransfer, Beratung und Innovationsberatung erhöhen. Das Verständnis und die Berücksichtigung der erforderlichen Lernprozesse und -stufen hilft dabei, Innovationsprozesse so zu gestalten, dass Veränderungen besser angenommen und Anpassungen leichter vollzogen werden können.

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Literatur

Aamodt, A.; Nygard, M. (1995): Different roles and mutual dependencies of data, information and knowledge, in: Data & Knowledge Engineering, 16, S. 191-222.

Anderson, L.W.; Krathwohl, C.R. et al (2001): A Taxonomy for Learning, Teaching and Assesing. A Revision of Blooms Taxonomy of Educational Objectives. New York.

Asensio, P.; Mirsch, T. (2010): Gedanken zur Landwirtschaftsberatung in Bayern. Beratung als Bildungsauftrag verstehen, in: SuB 1-2/2010, S. III,3-7.

Bloom, B. S. (1976): Taxonomie von Lernzielen im kognitiven Bereich. Weinheim, Basel.

Mirsch, T. (2017): Den Wissenstransfer beschleunigen, in: SuB 1/2017, S. 12-15

Mirsch, T. (2019): Strategische Unternehmens- und Innovationsberatung, in: SuB 11-12/2019, S. 59-62.

Rogers, Everett M. (2003): Diffusion of Innovations. 5th Edition. The free press of Glencoe, New York.

Van den Ban, A.W. (1974): Inleiding tot de voorlichtungskunde, Meppel.

Wielinga, E.; Robijn, S. (2019): Netwerken met energie, Greedschap voor co-creatie. Scriptum. Schiedam.

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Text verändert nach Erstveröffentlichung in Schule und Beratung (SuB) 1-2/2020, S. 29ff.

Stand: 27.05.2020

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