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Der didaktische Blick auf die (digitalen) Lehr-Lern-Prozesse, ohne die fachliche Richtigkeit zu vernachlässigen, ist notwendig.
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Detlef Haß, Lehrer an der Peter-Lenné-Schule, Oberstufenzentrum für Natur und Umwelt Berlin, eröffnete die Reihe der Vorträge mit seinen Überlegungen zu Veränderungsprozessen in der beruflichen Aus- und Fortbildung durch die digitale Transformation. Anschließend lieferte Markus Gandorfer von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) einen Überblick über gegenwärtige Entwicklungen der Digitalisierung in der Landwirtschaft und die Verbreitung digitaler Technologien. Als Akzeptanzhemmnisse wurde unter anderem mangelnde Kenntnisse in der Anwendung genannt. Dies weist auf eine besondere Aufgabe im Bereich Aus-, Fort- und Weiterbildung hin. Es scheint klar, dass der Einsatz digitaler Medien alle Unterrichtsprozesse insgesamt durchdringt und sich nicht nur auf technische Fächer beschränkt.

Ergänzend dazu referierte Markus Bretschneider vom Bundesinstitut für Berufsbildung über „Auswirkungen von Digitalisierung und Vernetzung auf Inhalte und Strukturen anerkannter Ausbildungsberufe am Beispiel Landwirt/-in und Fachkraft Agrarservice“. Er gab einen spannenden Überblick über gegenwärtig eingesetzte Anwendungen und Technologien und hieraus erwachsende Auswirkungen auf Aufgaben, Tätigkeiten und Kompetenzen in der betrieblichen Praxis. Daraus leitete Bretschneider Aussagen zur Bedeutung zukünftig erforderlicher fachlicher und überfachlicher digitaler Kompetenzen ab (siehe B&B Agrar 1-2019, S. 6-8).

Nutzen und Grenzen im Unterricht

Nach den vielfältigen Darstellungen im ersten Teil der Fachtagung wurden im zweiten Teil exemplarisch die Chancen und Grenzen der Digitalisierung in der Berufsbildung thematisiert. Dr. Mirjam Pfister, Dozentin für Didaktik und Methodik an der Berner Fachhochschule (Schweiz), befasste sich in verschiedenen Untersuchungen mit der Sicht der Lernenden, um herauszufinden, wie gerne Lernende in landwirtschaftlichen Berufsschulen mit neuen Medien arbeiten. Das Fazit der Forscherin war eher etwas ernüchternd. Während die Einsatzmöglichkeiten neuer Medien im Unterricht in der Literatur oft mit positiven Befunden dargestellt werden, zeigte ihre Untersuchung, dass die Lernenden neuen Medien eher kritisch gegenüberstehen. Es scheint zudem, dass der Medieneinsatz in den untersuchten Situationen – entgegen den Erwartungen – dazu geführt hat, dass sich die Unterschiede zwischen leistungsstarken und leistungsschwächeren Lernenden noch vergrößert haben. Im Gegensatz zu den Lernenden scheint bei den Lehrpersonen die Einstellung bezüglich neuer Medien positiv ausgerichtet zu sein.

Die Rolle der Lehrpersonen beleuchtete auch Ann-Kathrin Gebhardt von der TU Berlin. In ihrem Beitrag illustrierte sie, mit welchen Maßnahmen und Vorgehensweisen die Digitalisierung in der Lehrerbildung thematisiert wird. Dabei zeigte sich, dass die zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer dem Thema offen gegenüberstehen, dass jedoch viel Zeit – gerade auch für Übungen – eingesetzt werden muss, um die Lehrpersonen bezüglich Digitalisierung fit zu machen.

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Konkrete Medienkonzepte

Im dritten Teil der Fachtagung Agrarwirtschaft wurden Umsetzungsbeispiele sowohl auf Makroebene als auch bezüglich des Einbezugs digitaler Strukturen im Unterricht dargestellt. Im Zentrum der Ausführungen stand dabei die Frage: Welche digitalen Umsetzungsmöglichkeiten haben sich im berufs- und fachschulischen Unterricht bewährt und welche digitalen Lösungen sind im berufsschulischen Unterricht auszubauen (zum Beispiel Ausstattung oder Software)?

Josefa Reiter-Stelzl, Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus in Wien, stellte den Masterplan Digitalisierung für den österreichischen Bildungssektor vor. Auf Basis einer landesweiten Studie wurden Handlungsfelder für Digitalisierung in der Landwirtschaft erarbeitet. Aspekte zur Qualifikation von Lehrkräften und zur Ausstattung der Schulen mit digitalen Hard- und Softwarelösungen lassen sich daraus ableiten. Die Vertreter aus Österreich sehen unter anderem in der Übertragung von Selbstverantwortung an die Schüler/-innen, in der Förderung individueller Potenziale und in einer Erweiterung der Didaktik um digitale Elemente oder Strukturen eine große Chance für eine zukunftsfähige Ausbildung im grünen Sektor.

Zwei Beispiele digitaler Umsetzungsmöglichkeiten der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik in Wien (Mag. Susanne Aichinger, HAUP) und der Technischen Universität München (Dipl. Berufspädagoge Michael Folgmann) vertieften den Aspekt von digitalen Lösungen in Lern- und Lehrprozessen. Die HAUP in Wien setzt Webinare als Chance für eine motivierte Lehre ein. Hierzu wurde eine Videoplattform entwickelt, interaktive Medien (Stichworte: Augmented Reality/Virtual Reality, Lernplattformen, Content für Bildung, Webinare, Online Meeting) bereitgestellt und eine Möglichkeit für „Blended Learning“ geschaffen.

Die Instrumente für einen derartigen digitalen Lehrraum zeigte Michael Folgmann (TUM) auf. Er gab den Teilnehmenden eine Vielfalt an Software-Lösungen für eine direkte Umsetzung in Lehr- und Lernarrangements an die Hand. Seine Überlegungen zu „Educational Technology“ ordnete der Referent in einer didaktisch orientierten Systematik anhand der Begriffe Information, Interaktion, Kommunikation, Kollaboration und Produktion ein. Zu jedem dieser Bereiche gibt es eine Vielzahl an Software-Tools, die bereits erfolgreich in Unterrichtsprozessen eingesetzt werden. Ein Teil der aufgezeigten Tools findet an der Berufsschule Neumarkt (Bayern) Anwendung. Studiendirektor Walter Janka präsentierte Erfahrungen aus mehr als 20 Jahren landwirtschaftlicher Unterrichtspraxis.

Wie lassen sich die Möglichkeiten der Digitalisierung in die Praxis tragen? Diese Frage beleuchtete Peter Weyman von der Staatlichen Führungsakademie für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (FüAK) Bayern. Über In-House-Fortbildungsreihen an Schulen wird die vorhandene digitale Logistik am Standort analysiert und es werden direkte didaktische, mediengestützte Lösungsmöglichkeiten mit den Lehrkräften erarbeitet. Die direkte Bedarfsabfrage und -ermittlung ermöglicht es, vorhandenes Potenzial am Standort zu erschließen und gemeinsam Konzepte zu entwickeln.

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Neue Kompetenzprofile und Ziele

Bei der Fachtagung kam klar zum Ausdruck, dass Digitalisierung in der Berufsbildung bedeutend mehr sein muss als das Übertragen von analogen Informationen auf digitale Daten. Die Digitalisierung bedingt unter anderem die Beschreibung neuer Kompetenzprofile und Zielsetzungen, die Bereitstellung geeigneter Unterrichtshilfsmittel sowie die Planung angepasster Lehr-Lern-Settings.

Im Verlauf der Veranstaltung wurde anhand von Forschungsresultaten, Erfahrungen aus der Unterrichtspraxis und grundsätzlichen Überlegungen aufgezeigt, in welche Richtung die Entwicklungen in den nächsten Jahren gehen könnten. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere die Realität in der Berufswelt. Dort werden sowohl im landwirtschaftlichen als auch im gartenbaulichen Alltag eine Vielzahl von Geräten und technischen Hilfsmitteln sowie die in der Anwendung gewonnenen Datenmengen genutzt. Die Berufswelt der Zukunft muss mit diesen Nutzungskonzepten vertraut gemacht werden. Dabei geht es nicht primär um das Einstudieren von Analyseschritten, Arbeitsprozessen und Routinehandlungen, sondern im weiteren Sinne um Flexibilität und weitreichende Kommunikation im Alltagshandeln.

Entscheidend bei der Planung, Einführung und Umsetzung veränderter Lehr-Lern-Settings sind die Wahrnehmung und Einschätzung der beteiligten Akteure (Lehrpersonen, Lernende, Vertreter/-innen der Berufswelt). In diesem Zusammenhang zeigte die Diskussion unterschiedliche, teilweise einander widersprechende Erkenntnisse. Während einzelne Untersuchungsergebnisse auf klare Vorbehalte und Bedenken vonseiten der Schülerinnen und Schüler aufmerksam machten, zeigten Erfahrungsberichte, dass die Digitalisierung im Schulzimmer rasch positive Entwicklungen auslösen kann. Weiter kam zum Ausdruck, dass die Anwendung digitaler Methoden keinesfalls zum Selbstzweck geraten darf. Als Fazit der Tagung können folgende Hinweise thesenartig zusammengefasst werden. Um die Digitalisierung in der beruflichen Bildung voranzutreiben, braucht es:

  • eine Verständigung bezüglich übergeordneter Bildungsziele, aber auch die Möglichkeit, im Unterricht individuelle Schwerpunkte zu setzen.
  • Lehrpersonen, die die Realität der beruflichen Praxis gut kennen und die Möglichkeiten zum Einsatz digitaler Hilfsmittel in den Arbeitsprozessen einschätzen können.
  • eine Ausgewogenheit zwischen den Bedürfnissen der Lehrenden und Lernenden einerseits und den Zielsetzungen der Anbieter von Lernmedien und technischen Hilfsmitteln andererseits.
  • den didaktischen Blick auf die (digitalen) Lehr-Lern-Prozesse, ohne die fachliche Richtigkeit zu vernachlässigen.
  • an den Berufsschulen übergeordnete Konzepte rund um die Digitalisierung, vor allem aber ein ausdauerndes Vorgehen in kleinen Schritten.

"Mutig sein", "Neues ausprobieren", "Sackgassen zulassen und einen langen Atem beweisen", "es lohnt sich" – diese Aussagen spiegeln den Grundtenor der Fachtagung Agrarwirtschaft wider.

Stand: 16.04.2019

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