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Im Rahmen des Forschungsprojektes "Selbstbestimmung von Frauen im landwirtschaftlichen Familienbetrieb" wurden eine eigenständige Betriebsleiterin (BL) sowie eine Landwirtin, die die Betriebsleitung mit ihrem Partner gemeinsam innehat (BP), im Betrieb des Partners als Mitunternehmerin Vollzeit arbeitet (MU) beziehungsweise einer außerbetrieblichen Berufstätigkeit nachgeht (AE), befragt. Wegen der Besonderheit landwirtschaftlicher Familienbetriebe, bei denen sich oftmals betriebliche Rollen mit Familienpositionen und umgekehrt die familiären Rollen mit betrieblichen Positionen überschneiden (Planck und Ziche 1979) waren Abweichungen zwischen der formal-rechtlichen Position und dem tatsächlichen Aufgaben- und Verantwortungsbereich im Betrieb zu erwarten. Aufgrund der daraus zu erwartenden Rollenkonflikte (Wiswede 1977), die sich dann wiederum auf die Selbstbestimmung der Frauen auswirken können, wurde bei der Auswertung der Interviews nicht nur darauf geschaut, wie selbstbestimmt die Interviewten ihr Arbeits- und Lebensmodell gestalten und mit welchen Strategien sie hier vorgehen, sondern auch welchen Aufgaben- und Verantwortungsbereich sie tatsächlich wahrnehmen.

Selbstbestimmt handeln

Sowohl in der Selbstbestimmungstheorie der Motivation von Deci und Ryan als auch in den ausgewerteten Interviews finden sich bestimmte Faktoren, die ein höheres Maß an selbstbestimmtem Handeln fördern. In Trainings und in der Beratung kann genau auf diese Faktoren zurückgegriffen werden, um Frauen in landwirtschaftlichen Familienbetrieben zu helfen, ihre Arbeits- und Lebensmodelle selbstbestimmter zu gestalten.

Schlüssel 1– Intrinsische Motivation: Ein rein selbstbestimmtes Verhalten ist aufgrund eigener Bedürfnisse, Wünsche und Kompetenzen in der Regel intrinsisch angetrieben. So handeln Menschen intrinsisch motiviert, wenn sie das Gefühl von Selbstbestimmung (Autonomie) haben und ihr Verhalten zu ihren Werten, Bedürfnissen und Kompetenzen passt.

Doch die meisten Handlungen befinden sich auf einem Kontinuum zwischen den beiden Poolen aus reiner Selbst- beziehungsweise Fremdbestimmung. So beeinträchtigen extrinsische Motivatoren zwar die Selbstbestimmung, aber in einem sehr unterschiedlichen Maß. Dies geht von einer reinen Fremdbestimmung, über die Introjektion (Handeln entsprechend der Rollenerwartung, "weil es sich so gehört") und die Identifikation mit externen Zielen und Erwartungen anderer Personen bis zur vollständigen Integration dieser externen Ziele und Erwartungen in das eigene Selbstkonzept (zum Beispiel durch Sozialisation) (Deci et al 1993: 227 f.).

Der Einfluss intrinsischer Motivatoren auf den Grad der Selbstbestimmung und den zugewiesenen Aufgaben- und Verantwortungsbereich zeigt sich auch bei den interviewten Frauen. Alle Interviewten haben einen Weg gefunden, um eigene Ideen innerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches einzubringen und umzusetzen. Doch nur die Betriebsleiterin (BL), die sich trotz familiärer Widerstände den lang gehegten Wunsch, einen landwirtschaftlichen Betrieb zu leiten, erfüllte, und die außerbetrieblich tätige Landwirtin (AE), welche ebenfalls intrinsisch motiviert den Betrieb im Nebenerwerb übernahm, decken alle im landwirtschaftlichen Betrieb anfallende Tätigkeiten – von der Stallarbeit bis zur Feldarbeit – ab und berichten von einem hohen Maß an erlebter Autonomie und sozialer Wertschätzung.

Demgegenüber identifizierten sich die Mitunternehmerin (MU) und die BP jeweils mit den Zielen und Erwartungen ihrer Partner (Betriebsübernahme vom Onkel (MU) beziehungsweise Einstieg in die Landwirtschaft (BP)). Beide haben sich zwar mit der Direktvermarktung einen eigenen, den Rollenerwartungen ihres Umfeldes entsprechenden Zuständigkeitsbereich aufgebaut, begrenzen aber zugleich von sich aus den Bereich, in dem sie ein Mitspracherecht oder die alleinige Entscheidungsmacht beanspruchen. Als Gründe für diesen Verzicht und die Akzeptanz einer eher traditionellen Aufgabenteilung nannten die Interviewten fehlende Kompetenzen sowie ein fehlendes Bedürfnis nach mehr Selbstbestimmung.

Bezogen auf die Selbstbestimmung von Frauen in landwirtschaftlichen Familienbetrieben bleibt diese Identifikation mit den Zielen und Erwartungen ihres Partners so lange folgenlos, wie sich aus den vom Partner allein getroffenen Entscheidungen keine negativen Auswirkungen für die Frauen in der Landwirtschaft ergeben. Dass solche aber zu erwarten sind, zeigt beispielhaft die Studie von Wolf (2009). Demnach führen die von den Männern getroffenen Entscheidungen über Investitionen oftmals dazu, dass deren Arbeitsbereiche überproportional besser ausgestattet sind und sie erst dann in arbeitserleichternde Maßnahmen und Geräte für die Frauen investieren, wenn deren Arbeitskraft ausfällt oder stark vermindert ist. Letztendlich berichteten auch die interviewten Frauen über fehlende finanzielle Mittel, die es verhindern, neue Ideen im eigenen Arbeitsbereich umzusetzen.

Während die Frauen, entsprechend ihren Kompetenzen und Interessen, auch Aufgaben und Verantwortlichkeitsbereiche übernehmen, mit denen sie die traditionellen Geschlechtergrenzen überschreiten, verharren die Männer in diesen, sodass die Zuständigkeit für die gesamten Care-Tätigkeiten (Haushalt, Kinder, Pflege) bei den Frauen verbleibt. Ausschließlich die BP begründet die Arbeitszuteilung im Care-Bereich mit den persönlichen Kompetenzen ihres Partners und von sich selbst. Insgesamt sind die Interviewten mit der Arbeitsteilung zufrieden und begründen dies mit der eigenständig gestalteten Arbeitsorganisation (BL) und der Freude an der ausgeübten Tätigkeit (AE). Überschattet wird diese Zufriedenheit jedoch durch die teils hohe Arbeitsbelastung aufgrund der Doppelbelastung durch die Care-Tätigkeit. Hier würden sich die Frauen mehr Unterstützung von ihren Partnern wünschen. Insbesondere auch deshalb, weil damit auch ein Zeitmangel einhergeht, der sich negativ auf ihre Möglichkeit, selbstbestimmt zu handeln und "manche Ideen umzusetzen", auswirkt.

Schlüssel 2 – Wertschätzung und soziale Eingebundenheit: Wertschätzung aus dem sozialen Umfeld und soziale Eingebundenheit helfen den Menschen, sich kompetenter zu fühlen und sich als selbstbestimmter zu erleben, was wiederum eine der wichtigsten Voraussetzungen für persönliches Wachstum ist (Deci et al 1993). Dabei erhalten die Frauen in der Landwirtschaft diese Wertschätzung sowohl von dem Kundenkreis für die Bereitstellung und/oder Qualität bestimmter Leistungen, vom Partner, der die Übergabe der Verantwortung für einen Aufgabenbereich als Zeichen des Vertrauens kommuniziert, und von den eigenen Kindern, welche sich an dem Handeln ihrer Mutter orientieren und sich für ihre Arbeit interessieren. Darüber hinaus erleben die Interviewten auch dann Wertschätzung, wenn sie sich aufgrund ihres eigenen Aufgabengebiets im Betrieb mit anderen Landwirtinnen oder Winzerinnen aus der Gemeinde über ihre Tätigkeit austauschen oder miteinander kooperieren. Dies zeigte sich bei der interviewten BP beispielsweise durch die Rückmeldung der Kundschaft und ihren Angestellten und bei der AE und BL in den Gesprächen mit den Dorfbewohnerinnen und -bewohnern.

Neben der Wertschätzung ist es auch die soziale Eingebundenheit, die für die Interviewten bedeutsam war, um sich als selbstbestimmt zu erleben. So berichteten alle Frauen von mindestens einem Safe Place, in dem sie sich eingebunden und angenommen fühlen. Für die BL war dies der Austausch mit anderen im Weinbauverein, für die MU ihr Engagement in der Kirchengemeinschaft und für die AE primär ihr eigener Familienbetrieb. Auf der anderen Seite erleben sich die Interviewten in anderen Teilen ihrer sozialen Umwelt als nicht eingebunden. So verneinten die MU und AE explizit eine Verbundenheit mit der Dorfgemeinschaft und anderen Landwirtinnen und Landwirten, während der BL das Zugehörigkeitsgefühl in der Familie ihres Mannes (insbesondere aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit der Schwiegermutter) fehlte.

Schlüssel 3 – Persönliche Ressourcen: Alle Interviewten waren sich ihrer persönlichen Ressourcen bewusst. Diese wurden insbesondere dann als wirksam empfunden, wenn daran Erfolgserlebnisse geknüpft waren. So berichtete die BL, wie sie sich immer bei der Arbeit mit den Tieren als kompetent und selbstwirksam wahrnimmt. Die MU konnte ihre persönlichen Ressourcen in der Direktvermarktung entfalten, erfährt dabei Freude ("ich bin darin voll aufgegangen") und – durch das Geld, welches sie mit der Direktvermarktung verdient – auch Selbstwirksamkeit. Zudem hat sie durch den Erfolg in der Direktvermarktung erkannt, dass ihre persönliche Kreativität eine hierfür bedeutsame Ressource darstellt. Auch die befragte AE hebt das Erleben von Erfolg zur Bestätigung ihrer Ressourcen und zur Motivation weiterzumachen hervor. Ebenso sind es auch die aus der Arbeit entstehenden sozialen Netzwerke und Kontakte sowie das Feedback und die Unterstützung durch Familie und Partner, die die Interviewten als persönliche Ressource wahrnahmen.

Zur Weiterentwicklung ihrer Ressourcen nutzen die befragten Frauen zudem Bildungsangebote. Diese reichen von institutionellen Fortbildungen, über selbstständige Recherchen zu bestimmten Problemstellungen bis hin zu Auslandsaufenthalten.

Unterstützungsangebote

Die Interviewten fanden individuelle Wege, um sich als autonom und selbstwirksam zu erleben und soziale Wertschätzung zu erhalten, sodass sie ihr Handeln als selbstbestimmt wahrnahmen. Allerdings fanden die Interviewten diese Wege nicht immer innerhalb des landwirtschaftlichen Betriebs, sondern teilweise auch außerhalb der Landwirtschaft (zum Beispiel im kirchlichen Engagement). Als wichtige Empowerment-Strategien, welche die Selbstbestimmung fördern, erwiesen sich der familiäre Rückhalt, die Vernetzung mit anderen und die Zusammenarbeit auf institutioneller Ebene. Hier können Beratungs- und Bildungsangebote die Möglichkeiten zum Netzwerken unterstützen. Auch Angebote, die die selbstbestimmte Mitgestaltung des Zusammenlebens im Mehrgenerationenhaushalt thematisieren, den familiären Zusammenhalt stärken und den Umgang mit Konflikten sowie die Realisierung eigener und zum Teil neuer betrieblicher Konzepte fördern, leisten einen wichtigen Beitrag zu mehr Selbstbestimmung.

Wie gezeigt, spüren die befragten Frauen ihre eigene Kompetenz vor allem durch positive Rückmeldungen aus ihrem privaten und beruflichen Umfeld. Hier können Beratungs- und Bildungsangebote ansetzen, indem sie mit viel positivem Feedback arbeiten und Erfolgserlebnisse so fördern.

Aus den berichteten fehlenden finanziellen Ressourcen für die Arbeitsbereiche der Frauen und der traditionellen innerfamiliären Arbeitsteilung (insbesondere bei der Care-Arbeit), kann der Bedarf an Bildungs- und Beratungsangeboten abgeleitet werden, welche einerseits zeitlich flexibel nutzbar und finanziell niedrigschwellig sind (beispielsweise als Onlineangebote) und andererseits diese Hemmnisse inhaltlich aufgreifen (Zeitmanagement, Förderungsmöglichkeiten, Investitionen planen).

Neben solcher, sich an Frauen richtenden Angebote sollte es zukünftig auch mehr spezifische Bildungs- und Beratungsangebote zu den Themen Kommunikation und Gender sowie Führen und Arbeiten im Familienbetrieb für Männer geben. Damit ist die Erwartung verbunden, dass die Männer im Anschluss offener und wertschätzender kommunizieren und die Frauen auf den landwirtschaftlichen Familienbetrieben im selbstbestimmten Handeln unterstützen.

Im Bereich des Beratungswesens kritisieren insbesondere die Frauen, die von ihren Ehepartnern bereits in betriebliche Entscheidungen eingebunden werden, dass Beratungsgespräche, selbst wenn sie die zukünftige Entwicklung des Betriebes betreffen, zumeist ohne sie stattfinden. Hier wünschen sich die Interviewten eine aktivere Unterstützung und Beachtung durch die Beratungsorganisationen, damit ihre Meinungen ernst genommen und mitberücksichtigt werden.


Literatur

Deci, E. L.; Ryan, R. M. (1993): Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. In: Zeitschrift für Pädagogik 39, 2, S. 223-238.

Deci, E. L.; Ryan, R. M. (1996): Intrinsic motivation and self-determination in human behavior. New York.

Heide, R. (2019): Ethik in der Apotheke: Wissen, Vertrauen und Kommunikation im Kontext der Pharmazie. essentials. Wiesbaden.

Oedl-Wieser, T.; Wiesinger, G. (2010): Landwirtschaftliche Betriebsleiterinnen in Österreich. Eine explorative Studie zur Identitätsbildung. Forschungsbericht. Wien: Bundesanstalt für Bergbauernfragen.

Planck, U.; Ziche, J. (1979): Land- und Agrarsoziologie: eine Einführung in die Soziologie des ländlichen Siedlungsraumes und des Agrarbereichs. Stuttgart.

Vallerand, R. J.; Pelletier, L. G.; Koestner, R. (2008): Reflections on selfdetermination theory. In: Canadian Psychology, 49, S. 257-262.

Wiswede, G. (1977): Rollentheorie. Stuttgart.

Wolf, A. (2009): Landwirtschaftlicher Lebens- und Arbeitsalltag im Wandel. Eine geschlechtsspezifische Analyse am Beispiel Reichraming. In: Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft für Agrarökonomie, Band 18(2), S. 15-25. URL: https://oega.boku.ac.at/de/journal/jahrbuch-archiv/jahrbuch-bd-182.html (27.10.2022)