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Auf dem landwirtschaftlichen Betrieb Reber in Gailenkirchen bei Schwäbisch-Hall fand im Oktober ein Bodenseminar für Einsteiger statt. Der Betriebsinhaber und Seminarleiter Michael Reber bewirtschaftet den Familienbetrieb in sechster Generation. Die ursprüngliche Ausrichtung des Betriebes auf Schweine-Herdbuchzucht geriet in den ersten Jahren des Hofnachfolgers durch Krankheitseinbrüche im Tierbestand und starke Preisschwankungen am Ferkelmarkt so stark ins Wanken, dass Michael Reber den Betrieb grundlegend neu aufstellen musste.

In dieser krisenreichen Zeit inspirierten ihn bei seiner Suche nach neuen Wegen die Gedanken zur sogenannten regenerativen Landwirtschaft, wie sie in den USA von Gabe Brown (Brown 2018) und anderen verbreitet werden. Auf der Suche nach deutschen Vorreitern zu dem Thema wurde Reber auf die Methode von Friedrich Wenz, Dietmar Näser und Ingrid Hörner (www.gruenebruecke.de) aufmerksam und besuchte deren Bodenkurse. Inzwischen hat er das damals gewonnene Wissen auf seinem eigenen Betrieb jahrelang erprobt und in eine eigene Richtung weiterentwickelt. Um die persönlichen Erfahrungen und neuen Ansätze an seine Berufskolleginnen und -kollegen weitergeben zu können, bietet auch Michael Reber inzwischen Bodenseminare an.

Boden verstehen

Die Teilnehmenden des Seminars sind überwiegend junge Betriebsleiter, die den elterlichen Betrieb gerade übernommen haben oder mit eingestiegen sind und ihn erfolgreich in die Zukunft führen möchten. Alle sind gut ausgebildet, befinden sich auf dem Weg zur Meisterprüfung oder haben schon einen Hochschulabschluss in der Tasche. Dennoch ist nach ihren Aussagen das Wissen über Ackerböden und Bodenbiologie zu kurz gekommen.

In der Ausbildung nimmt die Betrachtung der Bodenfunktion als Standort für die Kulturpflanze und Speichermedium für Wasser und Nährstoffe meist einen großen Raum ein. Auch der Einsatz von Landtechnik und die Art und Weise, wie man den Boden möglichst tiefgreifend lockern und bearbeiten kann, wird im Unterricht oder in Vorlesungen vermittelt. Umso verblüffender ist die Aussage von Michael Reber, dass die Art der Bodenbearbeitungsgeräte bei ihm nicht an erster Stelle kommt. Viel wichtiger sei es, den eigenen Boden in allen Dimensionen verstehen zu lernen. Wie können die Umsetzungsprozesse durch das Bodenleben den Boden verändern? Welche Rolle spielen dabei Nährstoffe und deren chemisches Gleichgewicht, lebende Pflanzenwurzeln und eine ganzjährige Bodenbedeckung?

Regenerative Landwirtschaft

Landwirtschaftliche Anbaumethoden und Bewirtschaftungsformen sind seit jeher fortwährenden Veränderungen unterworfen. Der Klimawandel hat jedoch zur Folge, dass Wetterextreme stark zunehmen und so ungünstige Verteilung von Niederschlagsmengen oder die Zunahme an Hitzetagen immer schnellere Anpassungen der Anbausysteme erfordern. Die Umstellung auf ökologische Wirtschaftsweise ist eine Möglichkeit, um die Resilienz in Anbausystemen zu erhöhen, hat jedoch meist geringere Erträge zur Folge.

Ein neuer Weg die Bodenfruchtbarkeit dauerhaft zu erhöhen und die Erträge sogar zu steigern, verspricht die sogenannte regenerative Landwirtschaft. Landwirtschaft ist regenerativ, wenn Böden, Wasserkreisläufe, Vegetation und Produktivität kontinuierlich besser werden, statt nur gleich zu bleiben oder langsam schlechter zu werden (Jones 2018). Dabei sollen auch Vielfalt, Qualität, Vitalität und Gesundheit von Boden, Pflanzen, Tieren, Menschen und Betrieben gemeinsam zunehmen und der Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln und zugekauften Düngemitteln weitgehend oder ganz reduziert werden.
Informationen auf der Internetseite www.oekolandbau.de

Humusreiche Böden


Die Seminarteilnehmenden kamen aus ganz Deutschland und brachten Fragen mit, auf die sie bisher keine befriedigende Antwort gefunden hatten: Es sind die Probleme, die der Klimawandel im Ackerbau verursacht – fehlende oder ungleichmäßig verteilte Niederschläge oder die Zunahme von Hitzetagen. Aber auch die gesetzlichen Regelungen, Nährstoffbilanzen und aus der Zulassung fallende Wirkstoffe im Pflanzenschutz stellen die Praktikerinnen und Praktiker vor große Probleme. Fast alle Teilnehmenden haben schon erste Erfahrungen mit konservierender Bodenbearbeitung gemacht und schnell gemerkt, dass auch hier die Erträge zurückgehen. Die neue Bewirtschaftungsform verspricht Lösungswege auch für den konventionellen Anbau, wobei der Austausch zwischen den konventionell wirtschaftenden Betrieben und den Biobetrieben in der Seminargruppe besonders spannend war.

Die Informationsfülle zu den Schlagworten „regenerative Landwirtschaft“ oder „Humusfarming“ ist enorm und das Bedürfnis, ganz praktisch von und mit Berufskolleginnen und -kollegen zu lernen, daher groß. Dabei wird schnell klar, dass es nicht die eine, richtige Vorgehensweise gibt, um organischen Kohlenstoff im eigenen Boden zu binden. Das Erreichen von höheren Humusgehalten ist eine komplexe Herausforderung mit vielen, betriebsindividuellen Lösungsmöglichkeiten. Kennenzulernen und konkret erfahren zu können, wie humusreiche und restaurierte Ackerböden aussehen und sich anfühlen, ist in den Seminaren der Schlüsselmoment und motiviert, diesen fruchtbaren Bodenzustand auch auf den eigenen Flächen anzustreben.

Schritte des Bodenaufbaus

Eine optimale Unterstützung der humusbildenden Prozesse setzt grundsätzlich die Erkenntnis voraus, dass jeder Eingriff immer Auswirkungen hat (www.gruenebruecke.de).

  • Die Ausgangslage ist eine genaue Kenntnis der vorhandenen Nährstoffe im eigenen Ackerboden, wobei eine detaillierte Bodenanalyse, zum Beispiel nach der sogenannten Albrecht/Kinsey-Methode erforderlich ist. Auf dieser Basis muss der Betriebsleitende entscheiden, mit welchen Maßnahmen die Nährstoffe wieder in ein optimales Gleichgewicht gebracht werden können.
  • Im zweiten Schritt ist der Unterboden von seinem Gefüge her zu bewerten und so zu lockern, dass dieser mit Wurzeln dauerhaft stabilisiert werden kann.
  • Die dauerhafte Begrünung mit möglichst vielfältigen Pflanzenarten ist immer anzustreben und so zu gestalten, dass kontinuierlich Pflanzenmulch für die Bodenlebewesen anfällt und verrotten kann.
  • Im finalen Schritt sind die Kulturpflanzen mit Behandlungen durch beispielsweise Komposttee oder Düngergaben so zu fördern, dass die potenzielle Photosyntheseleistung voll ausgeschöpft werden kann.

Alle Schritte bilden einen kontinuierlichen Kreislauf und greifen immer wieder neu ineinander, ohne einen optimalen oder stabilen Endzustand zu erreichen. Die Stabilität ergibt sich durch die ständige Wiederholung der Kreisläufe im Boden.

Weitere Beiträge zum Thema auf der Internetseite www.praxis-agrar.de

Bodeninventur

Da jeder Betrieb auf seinen Flächen eine andere Ausgangssituation hat, muss zunächst eine gründliche Bodeninventur erfolgen. Hierbei sind genaue Kenntnisse über die Verhältnisse der einzelnen Nährstoffe und Spurenelemente zueinander erforderlich, um effektive Maßnahmen für die jeweiligen Flächen ergreifen zu können. Für solch detaillierte Bodenanalysen bieten sich beispielsweise Untersuchungen nach dem Albrecht/Kinsey-Verfahren (Kinsey, 2015) an. Michael Reber zieht hier Parallelen zur Tierhaltung, wo es selbstverständlich ist, bis auf das Niveau einzelner Aminosäuren die Futterrationen für den Tierbestand genau zu bestimmen. Seiner Auffassung nach muss auch der Boden hinsichtlich seiner Nährstoffe mit Sorgfalt und Detailtiefe untersucht und versorgt werden.

Mit welchen Komponenten der einzelne Betrieb dann Einfluss auf die Bodenfruchtbarkeit nehmen kann, ist betriebsindividuell zu entscheiden. Derzeit stoßen Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter angesichts der nicht ausreichenden Bodenuntersuchungsmöglichkeiten und der hohen Preise für Bodenproben schnell an die Grenze des Machbaren.

Neue Technologien

Den Boden befragen, die Heterogenität genau feststellen und dokumentieren zu können, sind Voraussetzung für die Umstellung auf eine regenerative Wirtschaftsweise. Neue Technologien mit entsprechenden Sensoren können helfen, stellen aber bisher vor allem Informationen für die Bestandsansprache in der Vegetation zur Verfügung. Für die Probennahme und die Untersuchung von Bodenleben besteht diesbezüglich noch großer Forschungsbedarf.

Die Bodenchemie ist mit Bodenanalysen machbar, aber die eigentlich benötigte Anzahl an Proben, um alle Eingriffe zielgerichtet vornehmen zu können, ist in der Praxis aufgrund der Kosten von bis zu mehreren hundert Euro pro Probe nicht realisierbar. Entscheidend wäre es aber, diese Informationen frühzeitig zur Kulturauswahl vorliegen zu haben, weil der Pflanzenbestand nur zeitverzögert auf das, was im Boden vonstattengeht, reagiert. An dem Punkt bestehen auch noch offene Forschungsfragen, um zum Beispiel die Abläufe im Bodengefüge während der Vegetation besser verstehen zu können.

CarboCheck-Tool

Wie hoch ist der Humusgehalt auf dem eigenen Acker und welche Bodenbewirtschaftung trägt am besten zum Humusaufbau bei? Das CarboCheck-Tool, bestehend aus einer App und einer Software, soll dazu bald Auskunft geben – standortspezifisch und einfach zu bedienen. Daran arbeiten Forschende gemeinsam mit landwirtschaftlichen Betrieben.

Fachleute entwickeln derzeit eine Software, die landwirtschaftlichen Betrieben das Humusmanagement und die Humusbilanzierung vereinfachen kann. Um die aktuelle Humusentwicklung zu prognostizieren, kombiniert die CarboCheck-Software Boden- und Klimaparameter mit Daten zur Bodenbewirtschaftung. Ein Ampelsystem stellt das Ergebnis dar: Rot bedeutet einen perspektivischen Humusverlust unter der aktuellen Bodenbewirtschaftung, grün einen Humusgewinn.

Einer der wichtigsten Ausgangsparameter für die Humusbilanz ist der aktuelle Humusgehalt des Bodens. Da dazu oft keine Analysedaten vorliegen, arbeiten die Forschenden parallel an der CPix-App: Nutzende machen ein Foto des Oberbodens und übermitteln ihren Standort. Die App verarbeitet die Farbinformationen zusammen mit standörtlichen Boden- und Klimaparametern und schätzt daraus den aktuellen Humusgehalt.

Gleichzeitig können Landwirtinnen und Landwirte verschiedene Bodenmanagement-Szenarien in der Software virtuell durchspielen und bekommen eine Bewertung, ebenfalls in Form des Ampelsystems, wie sich diese auf den Humusaufbau auswirken würden.
Der Prototyp des CarboCheck-Tools ist bereits in eine Ackerschlagsoftware integriert und wird demnächst in landwirtschaftlichen Betrieben getestet. Die Wissenschaft arbeitet außerdem daran, den Stickstoffkreislauf in das Tool einzubinden, sodass zukünftig auch Aussagen zur Stickstoffmineralisierung aus dem Bodenhumus getroffen werden können.

Weitere Informationen:

Mit allen Sinnen

Jeder Landwirt und jede Landwirtin sollten den eigenen Boden selber beobachten und verstehen lernen. Dies wird im praktischen Teil des Seminars mit Spaten und Bodensonde geübt. Wichtig ist, was selbst mit nahezu allen Sinnen auf der Fläche erfahrbar ist. Einige Kolleginnen und Kollegen schwören sogar darauf, man könne Unterschiede im Boden gar schmecken – im Kurs beschränken sich die Teilnehmenden allerdings zur Beurteilung der Bodengare auf das Sehen, Fühlen und Riechen.

Die Wahrnehmung einer stabilen Krümelstruktur und auch das Gefühl, dass ein Acker federn kann wie ein Waldboden, kann nachhaltig beeindrucken. Letztlich ist die eigene Begeisterung die Lösung – denn Intuition kann oft viel zuverlässiger leiten und führen als alle Sensoren und Detektoren.

Durch die Notwendigkeit, den eigenen Boden in allen Dimensionen neu verstehen zu lernen, sitzen zudem ökologisch und konventionell wirtschaftende Betriebe in einem Boot. So liefert der Austausch untereinander viele neue Erkenntnisse. Wo der eine – angewiesen auf hofeigenen Wirtschaftsdünger – seine Beobachtungen mit dem anderen teilt, der bisher vor allem mineralisch gedüngt hat, werden überraschende Feststellungen gemacht und neue Bausteine für das eigene Bodenverständnis mitgenommen.

Fazit

Es ist von Vorteil, dass es eine Fülle an Informationen und Möglichkeiten für Aufbau und Wiederherstellung von fruchtbaren Ackerböden gibt, denn jede Landwirtin und jeder Landwirt hat auf seinen Betrieb individuelle Bedürfnisse und Voraussetzungen. Wichtig wäre es allerdings, die guten Ansätze und Praxisbeispiele breit zugänglich zu machen und die neue Generation an Bodenpionieren auch seitens der öffentlichen Hand mit entsprechenden Informationsangeboten, Beratungsringen oder Field-School-Konzepten zu unterstützen.

Literatur

  • Brown, G. (2018): Dirt to soil: ones family‘s journey into regenerativ agriculture; London: Chelsea Green Publishing, ISBN 978-1603-587-631
  • Kinsey, N. (2015): Hands-On Agronomy. Der etwas andere Blick auf Bodenfruchtbarkeit und Düngung, 4. Auflage, Halcyon House Publishers, ISBN: 978-3000-481-239
  • Jones, Ch. (2018): Light Farming: Restoring carbon, organic nitrogen and biodiversity to agricultural soils, PhD Founder, Amazing Carbon, www.amazingcarbon.com (letzter Abruf 15.12.2020)