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Das pädagogische Konzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) bietet etliche Elemente, die für eine verantwortungsbewusste, wertorientierte und damit zukunftsfähige Beratung von Interesse sind.
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Um zukünftig ökonomische, ökologische und soziale Problemstellungen bearbeiten und im Spannungsfeld zwischen "Natur nutzen" und "Natur schützen" nachhaltige Lösungen entwickeln zu können, will eine Bildung für nachhaltige Entwicklung die Lernenden bei der Entwicklung von (Gestaltungs-)Kompetenzen und eines ganzheitlichen Natur- und Kulturbezugs sowie im Umgang mit Nichtwissen, Offenheit und Widersprüchlichkeit unterstützen. Zudem verfolgt die Bildung für nachhaltige Entwicklung das Ziel, nachhaltige Lernprozesse (nachhaltiges Lernverhalten und nachhaltige Lernergebnisse) zu fördern. Dabei versteht sie Lernende als Subjekte, die in Lehr-Lern-Prozessen ihre Erkenntnisse als für sie viabel und relevant konstruieren. Deshalb nimmt die Bildung für nachhaltige Entwicklung nachhaltigkeitsrelevante Problemstellungen aus dem Lebens- und Arbeitsumfeld der Lernenden in ihre Lehr-Lern-Inhalte auf.

Agrarische Beratung

Nach Schaub und Zenke (1997, S. 56) ist das Ziel jeglicher Beratung "durch Informationen, klärende Gespräche, Ermutigung und die gemeinsame Erarbeitung von Entscheidungshilfen, den Ratsuchenden zur Selbsthilfe zu befähigen." Somit will Beratung den/die Landwirt/-in durch die Förderung von individuellen Handlungskompetenzen und bei der Erarbeitung von konkreten Handlungsoptionen zur Bewältigung einer konkreten Problemsituation unterstützen.

Eine verantwortungsbewusste, wertorientierte und damit zukunftsfähige Agrarberatung – also eine nachhaltige Agrarberatung – will Landwirte befähigen ihren landwirtschaftlichen Betrieb so zu bewirtschaften, dass …

  • die bewirtschaftungsbedingten Belastungen ökologischer Schutzgüter auf einem tolerablen Maß bleiben,
  • die Leistungsfähigkeit der natürlichen Ressourcen für die Produktion von Nahrungsmitteln gesichert ist,
  • organische Reststoffe umweltgerecht verwendet werden,
  • bedeutende ökologische Funktionen gesichert sind,
  • gesunde Nahrungsmittel produziert und Nutztiere artgerecht gehalten werden,
  • der Betrieb wettbewerbsfähig und innovativ bleibt,
  • die eingesetzten ökonomischen Faktoren Arbeit, Boden, Kapital anspruchsgerecht entlohnt, Arbeitsplätze geschaffen beziehungsweise erhalten werden und das schöpferische Potenzial des Menschen erschlossen wird (vgl. Barthelmess 2001; Schaub und Zenke 1997; Schultheiß et al. 2008; Wittpoth 2009b; Wogowitsch 2013, 2016).

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BNE und Beratung im Vergleich

Vergleicht man nunmehr die Bildung für nachhaltige Entwicklung und die agrarische Beratung, so zeigen sich folgende Gemeinsamkeiten und Unterschiede:

Sowohl die "Bildung für nachhaltige Entwicklung" als auch die prozessorientierte agrarische Beratung basieren auf den gleichen systemtheoretischen und konstruktivistischen Konzepten. Im systemischen Verständnis wird Beraten als Lern-, Entwicklungs- oder Veränderungsprozess verstanden, der von außen nicht bestimmt oder instruiert werden kann. Beratungskräfte regen als "Entwicklungshelfer" die Lösungsfindung innerhalb des Systems an (vgl. Barthelmess, 2001, S. 121). Interdisziplinarität, Mehrperspektivität, Verknüpfung von Fachwissen und Methodenwissen, kulturelle Sensibilität, Wertorientierung, Modellbildung, Irritation, Evaluation und Reflexion sind zentrale Prinzipien sowohl der Bildung für nachhaltige Entwicklung als auch der agrarischen Beratung auf systemtheoretischer Grundlage.

Die Beratung stellt eine spezifische pädagogische Handlungsform dar, für die – im Unterschied zur Bildung für nachhaltige Entwicklung und mit Ausnahme einiger Spezialberatungen – das Thema Nachhaltigkeit weder Beratungsziel noch Beratungsinhalt ist. Ebenso fehlt bei einer reinen Fachberatung der Ansatz des nachhaltigen Lernprozesses.

Demgegenüber zielt bei einer Prozessberatung auf systemischer Grundlage das Beratungssetting sowohl auf die Nachhaltigkeit des Beratungsergebnisses im Sinne des Erwerbs von langfristig und breit verwertbaren Fähigkeiten und Fertigkeiten als auch auf eine reflektierte, verstehende, prozesshafte und eigenständige Hilfe zur Selbsthilfe (Nachhaltigkeit des Lernverhaltens) ab.

Das Gleiche gilt für die der Beratung zugrunde liegenden didaktischen Prinzipien. Während die Fachberatung zumeist auf Basis eines kognitivistischen Lernverständnisses berät, versteht die systemische Beratung Klienten als aktive Konstrukteure ihres Wissens (Reich 2002, S. 70), die durch Impulse von außen nur irritiert und so zum Umdenken angeregt werden können und somit "zwar lernfähig, aber unbelehrbar" (Wittpoth 2009a, S. 57) sind.

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Hilfe zur Selbsthilfe

Ausgehend vom Konzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung sollte Beratung einen Beitrag zur Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung der Landwirtschaft leisten. Dies gelingt, wenn Beratung Landwirtinnen und Landwirte zum nachhaltigen Wirtschaften, zur nachhaltigen Ressourcennutzung und zu nachhaltigen Problemlösungen im Spannungsfeld von Naturschutz und Naturnutzung befähigt und sie zudem bei der Entwicklung von Gestaltungskompetenz fördert. Darüber hinaus sollte die Beratung Landwirte im Sinne von Hilfe zur Selbsthilfe darin unterstützen, ähnliche Probleme in Zukunft selbstständig zu lösen, das heißt:

  • Landwirtinnen und Landwirte sind bei der Erarbeitung von Bewältigungsmöglichkeiten ihrer Probleme sowie beim Aufbau der erforderlichen Kompetenzen und des notwendigen Wissens zu unterstützen.
  • Die Fähigkeit zur Rollendistanz (kein Festhalten an gesellschaftlich vorgeschriebenen Interaktionsplänen, sondern deren Reflexion) ist zu fördern, ebenso die Ambiguitätstoleranz (unentschiedene Situationen auszuhalten), die Ambivalenztoleranz (die Uneindeutigkeit von Situationen zu ertragen) sowie die Fähigkeit zur Entscheidung und zu selbstverantwortlichem Handeln.
  • Es muss berücksichtigt werden, dass im Beratungsprozess Widerstand aufkommen kann, weil systemische Interventionen zu Verwirrung und Verunsicherung (Pertubation) führen können. Deshalb sollten die Berater/-innen darauf achten, dass die Interventionen nachvollziehbar, die Neustrukturierung der eigenen Erfahrungen plausibel und mit anderen Erfahrungen kompatibel ist.
  • Der/die Berater/-in sollte als Coach auftreten, also begleiten, ermutigen und unterstützen.
  • Die Expertise aus verschiedenen Fachrichtungen ist gefragt. Indem sich Fachberater/-innen unterschiedlicher Spezialisierungen miteinander vernetzen und gemeinsam Lösungen erarbeiten, lassen sich für den/die Landwirt/-in Erkenntnisse generieren, die einen Mehrwert bieten.
  • Die Landwirtinnen und Landwirte müssen von innen her motiviert werden, ihre Handlungsfähigkeit zu erweitern und ressourcenorientiert zu arbeiten.
  • Im Beratungsprozess ist auf Freiwilligkeit zu achten, Interventionen sind so zu dosieren, dass der/die Landwirt/-in die Kontrolle über den Veränderungsprozess behält.
  • Es sollte eine emotionale Betroffenheit erzeugt werden, damit bisherige Werthaltungen hinterfragt und verändert werden.
  • Berater/-innen sollten zur Sichtbarmachung unterschiedlicher Perspektiven Szenarien, Modellbildungen und Visualisierungen nutzen.
  • Der Beratungsprozess ist formativ zu evaluieren.

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Beraterausbildung

Wie gezeigt werden konnte, sollte eine verantwortungsbewusste, wertorientierte und damit zukunftsfähige Beratung bei der Wahl des Beratungsziels, der Beratungsinhalte und der didaktischen Prinzipien auf das pädagogische Konzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung zurückgreifen. Dies betrifft sowohl die Ausbildung von Beratungskräften als auch die Beratung von Landwirten.

Deshalb sind in das Curriculum der Beraterausbildung die folgenden Inhalte und Themenbereiche aufzunehmen:

  • nachhaltige landwirtschaftliche Nutzung im Spannungsverhältnis zwischen agrarischer Produktion und Naturschutz sowie Biodiversitätserhalt,
  • Landwirtschaft als Mitverursacherin und Betroffene des Klimawandels,
  • der Landwirtschaft und dem Naturschutz zugrunde liegende Werte und Leitbilder,
  • Planung und Gestaltung von Beratungssituationen, welche Landwirte motivieren und unterstützen, einen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung zu leisten,
  • Bedeutung der ländlichen Entwicklung für die Gesellschaft,
  • Regionalität versus Globalität, Möglichkeiten und Grenzen regionaler Wirtschaftskreisläufe,
  • Beteiligung der Studierenden an kommunalen und regionalen Umwelt- und Entwicklungsprojekten,
  • Möglichkeiten der beratenden und methodischen Unterstützung bei partizipativen Prozessen,
  • systemtheoretische Grundlagen.

Zur Realisierung einer nachhaltigen agrarischen Beratung sollten sich Beratungskräfte an folgenden Leitfragen orientieren:

  • Welche Ressourcen können bei den Landwirten aktiviert werden?
  • Ist die Intervention an das Vorwissen des/der Landwirt/-in anschlussfähig?
  • Welchen Raum können Emotionen im Beratungsprozess einnehmen?
  • In welcher Form erhalten Landwirte die Möglichkeit, ihre eigenen Vorstellungen zu konstruieren und auf ihre Brauchbarkeit hin zu prüfen?
  • Wird im Beratungsprozess mit Irritationen gearbeitet?
  • Welche Inputs (Berechnungen, Infomaterialien) werden den Landwirten zur Verfügung gestellt, um die gefundenen Lösungen selbstständig umsetzen zu können?
  • Mit welcher Intensität soll die Begleitung der Landwirte während der einzelnen Phasen des Beratungsprozesses erfolgen?
  • Welche Kompetenzen sollen im Beratungsprozess aufgebaut werden?
  • Welche Anregungen/Methoden werden gegeben/angewendet, um im Verlauf des Beratungsprozesses lineares Denken beziehungsweise Denkroutinen zu durchbrechen?
  • Welche Feedbackmethoden eignen sich, um den Beratungsprozess formativ zu bewerten und zu steuern?

Gelingt es in der Ausbildung und Beratung diesen Forderungen gerecht zu werden, so kann die Agrarberatung zukünftig noch besser einen Beitrag dazu leisten, dass Landwirte gesunde Nahrungsmittel produzieren, ökologische Funktionen sichern, ihre Betriebe wettbewerbsfähig halten und für ihre eingesetzten ökonomischen Faktoren gerecht entlohnt werden.

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Literatur

Barthelmess, M. (2001): Systemische Beratung. Eine Einführung für psychosoziale Berufe. Weinheim, Basel: Beltz (Beltz Edition sozial).

Reich, K. (2002): Systemisch-konstruktivistische Didaktik. In: Reinhard Voß und Stefan von Aufschnaiter (Hg.): Die Schule neu erfinden. Systemisch-konstruktivistische Annäherungen an Schule und Pädagogik. 4., überarb. Aufl. Neuwied: Luchterhand (Pädagogik und Konstruktivismus), S. 70–91.

Schaub, H.; Zenke, K. G. (1997): Wörterbuch Pädagogik. München: Dt. Taschenbuch-Verl. (dtv, 32510).

Schultheiß, U.; Molnat, C.; Zapf, R. (2008): Nachhaltig wirtschaften mit KSNL. KSNL - Kriteriensystem nachhaltige Landwirtschaft zur Analyse und Bewertung von Landwirtschaftsbetrieben. Darmstadt: Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft (KTBL-Heft, 78).

Wittpoth, J. (2009a): Einführung in die Erwachsenenbildung. Opladen: Budrich (UTB Erziehungswissenschaft, 8244). URL: http://www.socialnet.de/rezensionen/isbn.php?isbn=978-3-8252-8244-8.

Wittpoth, J. (2009b): Einführung in die Erwachsenenbildung. Opladen, Farmington Hills, Mich.: Budrich (UTB, 8244).

Wogowitsch, C. (2013): Grüne Pädagogik. Vom Theoriefundament bis zu professionsorientierten Lernarrangements. Wien: Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik.

Wogowitsch, C. (2016): Grüne Pädagogik. Türöffner zu nachhaltigem Lernen. Unter Mitarbeit von A. Bieringer, W. Haselberger, B. Karre, G. Kampel, I. Vogl und C. Wogowitsch. Wien: Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik.

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