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Kommt es in der Ausbildungspraxis zu Konflikten, sind Ausbildungsverantwortliche gefordert. Dabei stoßen sie manchmal auch an ihre Grenzen, wenn sie beispielsweise ihre Auszubildende oder ihren Auszubildenden motivieren möchten, pünktlich im Betrieb zu erscheinen – und sie/er macht exakt das Gegenteil davon. Neben der weiterhin bestehenden Unpünktlichkeit haben Gespräche, die immer wieder um ein und dasselbe Thema kreisen, eine fatale Nebenwirkung: Sie münden nicht selten in einem "K(r)ampf" und "Rebellion" gegen geforderte Verhaltensweisen. Mit jedem weiteren Gespräch verhärten sich die unvereinbaren Gegensätze. Vonseiten des Ausbildenden kommt ein "Du musst", der Azubi reagiert mit einem: "Ich will aber nicht". Solche Dialoge sind bereits verloren, bevor sie überhaupt begonnen haben.

Deshalb sind Ausbildungskräfte gut beraten, aus einer solchen Streitsituation herauszutreten, damit sich der Konflikt nicht von der Sachebene auf die Beziehungsebene verschiebt. Denn dann besteht die Gefahr, dass die an sich notwendige Auseinandersetzung in persönlichen Kränkungen unterzugehen droht, chronische Konflikte entstehen und die Ausbildungsbeziehung schwer belastet bleibt.

Konfliktmanagement

Ein chronisches Kommunikationsmuster kann durchkreuzt werden, wenn einer der Beteiligten auf überraschende Weise reagiert. Welche Interventionen führen zu solchen überraschenden Wendungen im gewohnten Kommunikationsmuster? Das Spektrum reicht von der Selbstreflexion subjektiver Bewertungsmaßstäbe über sinnstiftende Erklärungen bis hin zum Einsatz paradoxer Handlungsweisen. Im Folgenden werden sechs Tipps erläutert, die eine alternative, manchmal überraschende Vorgehensweise erlauben. 

Tipp 1: "Soloauftritte" vermeiden

Ausbildungsverantwortliche und Auszubildende sind keine separat handelnden Personen innerhalb einer Berufsausbildung, im Gegenteil: Sie bilden ein Resonanzsystem, in dem sie aufeinander reagieren und sich wechselseitig in ihrem Verhalten beeinflussen. Dabei treten Konflikte auf. 

Der Versuch, die Ursachen für diese Konflikte allein bei den Auszubildenden zu lokalisieren, greift zu kurz. Solche eindimensionalen Erklärungsversuche enden meist in Schuldzuweisungen, die den Auszubildenden als Wurzel allen Übels entlarven. Nach dieser Logik ist die Ausbilderin/der Ausbilder stets Opfer eines Fehlverhaltens seitens der/des Auszubildenden und wird damit zum Spielball ohne Gestaltungsoption. Der weitere Verlauf des Konflikts liegt nicht mehr in den eigenen Händen, sondern wird durch die Entscheidung des Gegenübers bestimmt. Denn die Ausbilderin/der Ausbilder ist dazu verdammt, solange zu warten, bis das angemahnte Fehlverhalten korrigiert wird.

Ein Konflikt ist das Zusammenspiel gemeinsamer Motivation. Konkret heißt das: Wenn eine Auszubildende/ein Auszubildender etwas tut oder sagt, was der Ausbildungskraft nicht gefällt, reagiert diese darauf. Das wiederum animiert die Auszubildende/den Auszubildenden, sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten. Dieses Hin und Her bindet die Energie der beteiligten Konfliktparteien aneinander. Es gilt, der Konfliktquelle die Energie einseitig zu entziehen. Der/dem Auszubildenden den Rücken zuwenden oder überschwänglich begrüßen, könnten beispielsweise Strategien sein, um auf wiederholte Verspätung zu reagieren.

Tipp 2: Eigene Bewertung reflektieren

Grundsätzlich liegt einem Verhalten keine vorgegebene, objektive Bedeutung zugrunde. Es ist Auslegungssache, ob das Fehlverhalten im konkreten Beispiel auf unzureichende Motivation oder mangelnde Umgangsformen zurückgeführt wird. Die Reaktion auf ein bestimmtes Verhalten ist das Ergebnis, wie es wahrgenommen, gedeutet und bewertet wird. Das Spektrum der Bewertungen lässt sich grob gegliedert in drei Kategorien einteilen: angenehm, neutral, unangenehm. Folglich können zwei Ausbilder/-innen auf ein und dasselbe Verhalten einer/eines Auszubildenden unterschiedlich reagieren.

Am Beispiel "Unpünktlichkeit" zeigt sich das Deutungsspektrum: Wenn die Ausbildungskraft selbst im morgendlichen Berufsverkehr im Stau steht und sich verspätet, fällt die Bewertung (und Reaktion) naturgemäß positiver aus, als wenn ein Kundentermin ansteht und noch auf den Auszubildenden gewartet werden muss. Zwischen dem Verhalten einer/eines Auszubildenden und der Art und Weise, wie die/der Ausbildende daraufhin reagiert, liegt also das Reich der persönlichen Wahlfreiheit. Das bedeutet: Eine Ausbildungskraft kann die Verhaltensweisen negativ interpretieren und sich darüber ärgern – oder auch nicht. Denn wer über das Entscheidungsmonopol verfügt, kann wählen. Wer in dieser Phase also zu keinem negativen Urteil kommt, sieht sich auch nicht veranlasst, in hektische Betriebsamkeit zu verfallen. Stattdessen kann in aller Ruhe entschieden werden, was in der gegebenen Situation zu tun oder auch nicht zu tun ist.

Um jeglichen Missverständnissen vorzubeugen: Es geht nicht darum, die Ausbildungswelt durch eine rosarote Brille zu betrachten. Es geht vielmehr darum, subjektive Bewertungen auf ihre Zweckmäßigkeit hin kritisch zu hinterfragen, um den gewohnten Automatismus zu durchbrechen und die eigenen Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. Wann und wo lohnt es sich aller Voraussicht nach, Zeit, Nerven und Energie zu investieren? 

Dieser zweite Tipp – sich der eigenen Denk- und Handlungsmuster bewusst zu sein (zum Beispiel das kategorische Einhalten von Arbeitszei-ten) und diese eventuell im Einzelfall anzupassen (zum Beispiel das Ausloten zeitlicher Handlungsspielräume) – gilt als Voraussetzung für die Umsetzung des ersten Tipps.

Tipp 3: Zwischen Absicht und Verhalten unterscheiden

Dazu ein konkretes Beispiel: Der neue Auszubildende präsentiert sich als ungestümer junger Mann, der bei jeder unpassenden Gelegenheit vorprescht und im Ergebnis mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Damit will er sein starkes persönliches Interesse an der Ausbildung verbunden mit klaren Zielvorstellungen zeigen, die er so schnell wie möglich erreichen will. Der Ausbilder nimmt allerdings nur seine "dreisten" und "ungeschickten" Verhaltensweisen wahr, nicht jedoch die positive Absicht, die sich dahinter verbirgt.

Somit ist es geboten, zwischen der Absicht hinter der Handlung und der Handlung selbst zu unterscheiden. Diese Unterscheidung lässt zum einen den Spielraum für Veränderungen erkennen und schützt zum anderen davor, bestimmte Verhaltensweisen allzu schnell zu verurteilen.

Tipp 4: Sinn erklären

Wenn die/der Auszubildende keinen Sinn in einer Aufgabe oder Verhaltensweise sieht, dann führt das oft zu unmotiviertem oder halbherzi-gem Handeln, frei nach dem Motto: "Wenn mir der Sinn dessen, was ich tun soll, fehlt, warum sollte ich es dann tun?!" Bei einem Arbeitsauftrag ist es deshalb wichtig, künftigen Mitarbeitenden nicht nur das Was und Wie zu erklären, sondern vor allem das Wozu. Erst dieses "Gesamtpaket" kann dazu führen, dass ein Auszubildender den Sinn der Arbeitsaufgabe für sich selbst erkennt. Diese Erkenntnis wiederum kann dazu beitragen, als unangenehm empfundene Ausbildungssituationen oder "lästige" Vorschriften (zum Beispiel in Sachen Unfallverhütung) leichter anzunehmen.

Tipp 5: Lösungsorientiert fragen

Grundsätzlich gibt es im Umgang mit Konflikten zwei Sichtweisen: die Problem- und Lösungsorientierung. In der ersten Variante steht das problematische Verhalten deprimierend groß im Zentrum der Aufmerksamkeit und übt geradezu hypnotische Wirkung aus. Im Vergleich dazu legt die zweite Handlungsvariante den Schwerpunkt des Interesses auf das anzustrebende Ziel. In diesem Zusammenhang sind Fragen das wichtigste Werkzeug der Ausbildungskraft. Häufig bilden sie eine Brücke zu neuen Optionen. Durch lösungsorientierte Fragen können Ressourcen und Kompetenzen bewusst gemacht werden, die dann zur Verfügung stehen, um das anvisierte Ziel zu erreichen.

Im gewählten Fallbeispiel drängt sich zunächst folgende Frage auf: "Wie lässt sich die Unpünktlichkeit abstellen?" Diese Wie-Frage fokussiert allerdings nur auf das unerwünschte Problem und impliziert die Annahme, dass es nur eine Lösung gibt. Besser ist es, die Frage umzuformu-lieren und der/dem Azubi Lösungsoptionen zu eröffnen, zum Beispiel: "Angenommen, es gelingt Ihnen, pünktlich im Betrieb zu sein (= Zielorientierung). Was würden Sie dann im Vergleich zu jetzt alles anders machen?" Oder: "Welche Möglichkeiten gibt es, pünktlich im Betrieb zu sein?" Der Plural lädt zum lauten Denken ein und signalisiert der/dem Auszubildenden, dass alle Ideen willkommen sind. Das hat oft den Vorteil, dass eine aus eigener Kraft gefundene, selbstbestimmte Lösung zugleich die Eigenmotivation zur Veränderung enthält. 

Tipp 6: Paradox handeln

Auf den ersten Blick steht paradoxes Handeln in einem Widerspruch zu den Ausbildungszielen, tatsächlich aber kann es helfen, bestimmte Ziele zu erreichen. Dazu wird das als problematisch eingestufte Verhalten nicht länger bekämpft, sondern gefördert, indem es von einer Autorität nachdrücklich erlaubt wird. Ein Beispiel: Kommt die/der Auszubildende das nächste Mal wieder zu spät in die Firma, dann sollten Vorhaltungen ausbleiben. Stattdessen könnte die Ausbilderin/der Ausbilder Folgendes freundlich und zugewandt vorschlagen: "Frau X oder Herr Y, das sind heute 17 Minuten Verspätung. Morgen kommen Sie bitte wieder 17 Minuten zu spät!"

Dies ist das Prinzip der paradoxen Intervention: bei festgefahrenen Auseinandersetzungen einfach etwas Unberechenbares oder Unvorhersehbares tun. Diese Vorgehensweise ist mit der Überzeugung verbunden, dass jeder Mensch autonom handeln möchte. Diese Selbstbestimmung erfolgt oft über die Abgrenzung zu anderen, nach dem Motto: "Ich bin nur dann autonom, wenn ich mich der Fremdbestimmung widersetze." Soll also ein bestimmtes Verhalten, zum Beispiel Unpünktlichkeit, nicht mehr gezeigt werden, so wird genau dieses Verhalten nachdrücklich erlaubt: "Machen Sie weiter so!" Da sich der Protagonist jedoch nicht vorschreiben lassen will, was er zu tun hat, muss er zwangsläufig die gegenteilige Position einnehmen.

Innerhalb einer Berufsausbildung dürfte eine paradoxe Intervention folgende Dynamik auslösen: In dem Moment, wo die/der Ausbilder/-in explizit Unpünktlichkeit verlangt, wird der/dem Auszubildenden das Fundament für die "Rebellion" entzogen. Denn gegen ein Verhalten zu opponieren, das außerhalb der Verbotszone liegt, ist schlichtweg sinnlos. Um Souveränität zu wahren, wird die/der Auszubildende das Verhalten neu ausrichten und ab sofort pünktlich kommen.

Paradoxe Interventionen sind im Ausbildungsalltag überall dort angebracht, wo sich Auszubildende den unmittelbaren Wegen der Veränderung widersetzen oder wo diese sich als wirkungslos erweisen. Der beschriebene Strategiewechsel ermöglicht es Ausbildungsverantwortlichen, eigene Hilflosigkeit in Konfliktsituationen zu überwinden und das Heft des Handelns wieder in die Hand zu nehmen. 

Literatur

Ankowitsch, C. (2018): Die Kunst, einfache Lösungen zu finden. Rowohlt-Verlag Berlin.
Kluge, M. (2016): Der Ausbilder als Coach. Auszubildende motivieren, beurteilen und gezielt fördern. F.A.Z. BUSINESS MEDIA GmbH
Kluge, M. (2011): Hilfe, mein Azubi nervt! Krisenmanagement wider den gewohnten Blick. Christiani-Verlag Konstanz.
Kluge, M. (2009): Der Ausbilder als Konfliktmanager. Was tun mit "schwierigen" Azubis? Christiani-Verlag Konstanz.