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Ein bekanntes Sprichwort besagt: "Betriebsblindheit ist eine der gefährlichsten Berufskrankheiten." Einen Schritt zurückzutreten, um alle Rahmenbedingungen wieder im Blick zu haben, ist daher für landwirtschaftliche Betriebe besonders wichtig, um in entscheidenden Momenten gemeinsam mit der Familie die richtigen Entscheidungen zu treffen. Als Hilfestellung für diesen "Schritt zurück", um den Blick auf strategische Zukunftsfragen losgelöst vom Alltagsgeschäft richten zu können, steht den Beratungskräften der Ämter für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (ÄELF) der FitnessCheck als Tool im Rahmen der strategischen Unternehmens- und Innovationsberatung zur Verfügung.

Weichenstellungen

Landwirtschaftliche Betriebe stehen gerade in der gegenwärtigen Zeit vor der großen Herausforderung, ihren Betrieb in mehrfacher Hinsicht zukunftsfähig aufzustellen: massive Preissteigerungen, zunehmende Klimainstabilität, immer anspruchsvollere Umwelt- und Tierwohlstandards, Digitalisierung, Energiewende, gesellschaftlicher und demografischer Wandel. Insbesondere bei der Entwicklung neuer Betriebszweige, im Zuge der Hofübergabe oder vor großen Investitionen sind gut durchdachte Weichenstellungen unter Einbeziehung der ganzen Familie besonders wichtig.

Der FitnessCheck als Beratungsangebot besteht aus einer Selbsteinschätzung und einer Beratung vor Ort. Selbst einschätzen können sich sowohl die Betriebsleiterin, der Betriebsleiter als auch die gesamte Betriebsleiterfamilie mithilfe einer Online-Anwendung, bei der ausgewählte Fragen zu den Themenfeldern Familie, Arbeitswirtschaft, wirtschaftliche Situation, Unternehmensführung, Entwicklungsmöglichkeiten und Wirkung auf die Gesellschaft beantwortet und die Antworten beziehungsweise die Schlussfolgerungen daraus anschließend automatisch grafisch aufbereitet werden. All dies sind Themen, die bei größeren betrieblichen Entscheidungen unbedingt abgewogen werden müssen und den idealen Einstieg für eine ganzheitliche Unternehmensberatung bieten.

Selbsteinschätzung

"Die Familie ist sich einig über die zukünftige Ausrichtung", "Wir empfinden die Arbeitsbelastung als tragbar" oder "Wir haben klare Ziele definiert und setzen diese konsequent um" sind beispielsweise drei von 30 Thesen, die im Rahmen des neuen FitnessChecks mit Punkten zwischen null und zehn bewertet werden können. Jedes Familienmitglied erhält eine individuelle Selbsteinschätzung, die sich durchaus von der Einschätzung der Betriebsleiterin/des Betriebsleiters oder weiterer Familienmitglieder unterscheiden kann. Da hierbei sensible Bereiche wie Hofnachfolge, Einkommen, Arbeitsbelastung, Unternehmensziele oder Entscheidungsfindung angesprochen werden, kommen häufig Diskussionen innerhalb der landwirtschaftlichen Familie in Gang.

Aus Sicht erfahrener Beraterinnen und Berater sind das die entscheidenden Gespräche für eine zukunftsfähige und nachhaltige Unternehmensentwicklung. Nur wenn mögliche Differenzen ausdiskutiert werden, können dauerhaft tragbare Lösungen erarbeitet werden. Andererseits freut es alle Beteiligten, wenn der Familie durch die Selbsteinschätzungen bestätigt wird, dass es bereits einen großartigen Zusammenhalt mit gleichgerichteten Bedürfnissen und Zielen gibt. Versierte Beraterinnen und Berater betonen immer wieder, wie wichtig Dialog und Zusammenhalt für die Zufriedenheit in der Familie und damit für eine nachhaltig erfolgreiche Betriebsentwicklung sind.

Blick von außen

Die Selbsteinschätzung ist der erste Schritt, die eigene Situation zu hinterfragen. Mit diesem Instrument stellt sich die landwirtschaftliche Unternehmerfamilie die richtigen Fragen und schiebt Diskussionen in der Familie an. Zu einer gesamtbetrieblichen Beratung, in welcher die einzelnen Themenfelder der Selbsteinschätzung lösungsorientiert besprochen werden, gehört ein ausführliches Beratungsgespräch, verbunden mit einem Betriebsrundgang. Der fachkundige Blick von außen durch einen geschulten, neutralen Berater ohne Verkaufsinteressen ist sehr wertvoll. Die ÄELF in Bayern bieten für alle landwirtschaftlichen Betriebe die strategische Unternehmens- und Innovationsberatung an, die den gesamten Betrieb in den Blick nimmt und der Betriebsleiterfamilie mit ihren individuellen Bedürfnissen Hilfestellung zu Fragen der Unternehmensentwicklung, Betriebszweigkonzeption und Investitionsplanung gibt.

In der strategischen Unternehmens- und Innovationsberatung der bayerischen Landwirtschaftsverwaltung geht es hauptsächlich darum "Hilfe zur Selbsthilfe" zu leisten. Aufgabe der Beraterin/des Beraters ist es, die passenden Fragen zu stellen und die dafür notwendigen fachlichen Informationen bereitzustellen. Diese Vorgehensweise hat sich bei dieser Beratungsform bewährt (s. Abbildung 1).

Realisierbare Ziele

Die Selbsteinschätzung bietet vor allem bei der Vorbereitung einen großen Mehrwert – sowohl für die landwirtschaftliche Familie als auch für die Beratung. Die Stärken und Schwächen des Betriebes werden bildlich dargestellt und es zeigt sich deutlich, an welchen Punkten die Familie unterschiedliche Wahrnehmungen hat. Beides sollte im Beratungsgespräch weitreichend besprochen und diskutiert werden. Anschließend können Möglichkeiten erarbeitet werden, um die derzeit bestehenden Herausforderungen anzugehen. So zeigen sich beispielsweise in Abbildung 2 arbeitswirtschaftliche Probleme sowie Herausforderungen im Bereich der Unternehmensführung. Die Beraterin/der Berater kann sich gezielt auf diese Themenpunkte vorbereiten und das Beratungsgespräch zielführend leiten. Das Schema der Selbsteinschätzung hilft somit nicht nur bei der Beurteilung der derzeitigen Situation, sondern auch dabei, realisierbare Ziellösungen zu formulieren – wie beispielsweise die Anpassung der Arbeitsprozesse an die verfügbare Arbeitskapazität.

Eine langjährige Beraterin berichtet, dass häufig bereits zu Beginn eines Beratungsgesprächs ganz klare Vorstellungen des Betriebsleiters zu einem konkreten Vorhaben bestehen. Das Problem: Nicht selten fehlt die Abstimmung der Pläne innerhalb der Familie. Und oft ist der monetäre Gewinnzuwachs das alleinige Entscheidungskriterium. "Speziell in solchen Fällen ist der FitnessCheck Gold wert", urteilt die Beraterin. Denn Pläne mit oft sehr weitreichenden Konsequenzen werden noch einmal grundlegend auf den Prüfstand gestellt: Steht die ganze Familie hinter der Maßnahme? Entspricht die Maßnahme den Zielen des Unternehmens und der Familie? Oder müssen überhaupt erst einmal Ziele formuliert werden? Wurde die Hofnachfolgerin oder der Hofnachfolger ausreichend eingebunden? Wie ist die Arbeitsbelastung? Macht die Arbeit Freude? Wie kommt die Familie mit neuen Schulden zurecht – auch mental? Wie wirkt sich die Maßnahme auf die Akzeptanz in der Nachbarschaft oder allgemein in der Bevölkerung aus? Gäbe es auch noch andere Möglichkeiten der betrieblichen Weiterentwicklung?

Wege zum FitnessCheck

Bayerische Landwirte wenden sich für eine Beratung zur Betriebsentwicklung an ihr örtliches Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Häufig wird es sich um größere Entwicklungsschritte mit Baumaßnahmen oder Umstrukturierungen handeln. Die Erfahrung zeigt, dass sich auch aus kleineren Anliegen grundlegende Fragestellungen für die Betriebsentwicklung ergeben können. Nach einem ersten telefonischen Gespräch, bei dem das Beratungsanliegen geklärt und betriebliche Informationen eingeholt werden, sendet die Beraterin/der Berater per E-Mail den Link zur Selbsteinschätzung.

Alle Mitglieder der Betriebsleiterfamilie bearbeiten den Fragenkatalog für sich, sichern die Antworten und das entstandene Netzdiagramm in Form von PDFs. Im anschließenden Beratungsgespräch mit der Beraterin oder dem Berater des Landwirtschaftsamtes wird das Ergebnis der Selbsteinschätzung eingehend gemeinsam besprochen und Ziellösungen im Sinne einer gesamtbetrieblichen Beratung erarbeitet. Um jeder individuellen Beratungsanfrage gerecht zu werden, kann von dieser Vorgehensweise auch abgewichen werden. Manchmal bietet es sich auch an, als ersten Schritt ein persönliches Beratungsgespräch zu führen und die Selbsteinschätzung in anderer Form einfließen zu lassen.

Der FitnessCheck

Der FitnessCheck wurde in einer Arbeitsgruppe aus erfahrenen Beraterinnen und Beratern der Ämter für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (ÄELF) gemeinsam mit dem Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (StMELF), der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) und der Staatlichen Führungsakademie (FüAk) entwickelt. Die neue Online-Selbsteinschätzung ist eine gut durchdachte, intuitiv zu bedienende Anwendung, die mit einem ganzheitlichen Ansatz frischen Wind in die Beratung bringt. Die wesentlichen Vorgaben waren, dass das Online-Tool selbsterklärend und sehr einfach mit einem geringen Zeitaufwand zu handhaben ist. Wichtig war auch, dass die Selbsteinschätzung vollständig anonym bleibt und die Eingaben außerhalb des PDFs nicht gespeichert werden.

Im Rahmen der Neuausrichtung der Landwirtschaftsverwaltung ist der FitnessCheck ein Teil der Strategie, die Unternehmensberatung zu stärken. Das offene, neutrale und kostenfreie Beratungsangebot der ÄELF richtet sich an alle Betriebe, die vor wegweisenden strategischen Entscheidungen stehen und professionelle Unterstützung bei der Betriebsentwicklung suchen. Die staatlichen Berater finden methodische Hinweise zum Einsatz der FitnessChecks im Mitarbeiterportal unter dem Stichwort FitnessCheck. Interessierte Landwirtinnen und Landwirte wenden sich an das örtliche Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

Erstveröffentlichung in SuB 3-4/2023, S. 4-6