Fehlende Lehrkräfte werden immer mehr zum Problem, insbesondere an weiterführenden und beruflichen Schulen. Besonders betroffen sind Berufsschulen in ländlichen Regionen, was gravierende Auswirkungen auf die Ausbildung in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau hat. Die Lage stellt sich laut einer Online-Umfrage des Webportals "agrarheute" im Sommer 2023 entsprechend kritisch dar: Nur zehn Prozent der Teilnehmenden sehen aktuell keinen akuten Lehrkräftemangel, 55 Prozent schätzten ihn dagegen als deutlich oder gravierend ein. Zahlreiche ausgefallene Stunden führen mittlerweile dazu, dass der grüne Nachwuchs in manchen Regionen schon heute schlecht ausgebildet wird und viele Grundkenntnisse nicht in ausreichend vertiefter Form vermittelt werden, so "agrarheute". Dabei wird die Lage in den kommenden Jahren noch problematischer, denn mit den geburtenstarken Jahrgängen der Boomer-Generation werden dann besonders viele Lehrkräfte in die Rente gehen. Johann Biener, Präsident des Verbands für landwirtschaftliche Fachbildung (vlf), fasst die besorgniserregende aktuelle Situation so zusammen: "Der Personalengpass an den agrarischen Berufsschulen hat sich seit 2016 noch verschärft. Es finden sich nach wie vor zu wenig junge Nachwuchskräfte, die bereit sind, ein pädagogisches Zusatzstudium zu bestreiten und als Berufsschullehrerinnen und -lehrer tätig zu werden. Nach wie vor wird das Berufsbild des Berufschullehrers an Landwirtschaftsschulen zu wenig beworben."
Prognosen
Bringt der demografische Wandel mit Blick auf die Schülerzahlen in dieser Situation Entlastung? Aktuelle Daten der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) konstatieren zumindest für die grünen Ausbildungsberufe im Jahr 2022 im Vergleich zum Jahr 2021 insgesamt leicht sinkende Schülerzahlen. Die Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK) von Ende 2023 lässt allerdings vermuten, dass die Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler in Deutschland in den kommenden Jahren sogar stärker steigen wird als bisher angenommen.
Die KMK hat auch ihre Prognose für den Lehrkräftemangel nach oben korrigiert. Bis 2035 fehlen demnach 68.000 Lehrkräfte. Gleichzeitig steige die Teilzeitquote bei Lehrkräften auf 42,3 Prozent, im Vorjahr lag sie bei 40,6 Prozent. Entspannung wird es nur im Grundschulbereich geben. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2018 prognostizierte bereits eine dramatische Entwicklung in der Berufsbildung. Danach werden bis 2033 rund 60.000 Lehrkräfte an Berufsschulen aus dem Dienst ausscheiden, im selben Zeitraum aber nur rund 30.000 Absolventinnen und Absolventen für das berufliche Lehramt die Hochschulen verlassen. Bis zum Jahr 2030 geht fast die Hälfte der rund 125.000 Berufsschullehrkräfte in den Ruhestand. Es klaffe demnach auch bei den Berufsschulen eine gewaltige Lücke zwischen Bedarf und Angebot an Lehrkräften. Bis 2030 entstehe ein jährlicher Bedarf von 4.800 Personen, um ausscheidende Lehrkräfte zu ersetzen und eine größer werdende Schülerzahl zu bewältigen. Dieser Trend werde sich laut Bertelsmann-Studie in den Jahren bis 2035 sogar noch verstärken, sodass der jährliche Einstellungsbedarf nach 2030 auf über 6.000 Lehrkräfte steigt.
Lösungsoptionen
Über Lösungen für dieses Problem wird aktuell heftig gestritten. Der Bundesverband der Lehrkräfte für Berufsbildung e. V. (BvLB) kritisierte die einschlägigen Lösungsvorschläge der politisch einflussreichen Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der KMK (SWK) teilweise scharf. Diese seien vielmehr dazu geeignet, die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Lehrkräfte an den beruflichen Schulen weiter zu verschlechtern. Anpassung des Ruhestandseintritts, Wegfall der Altersermäßigung, Einschränkung der Teilzeitbeschäftigung und andere Vorschläge konterkarierten die Bemühungen, junge Menschen für ein Lehramt an beruflichen Schulen zu gewinnen. Vielmehr seien diese mit einer Reihe unerwünschter Nebeneffekte verbunden, die zu einer Verschlechterung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen führen.
Immerhin sind aus Sicht des Verbands andere Empfehlungen der SWK zu begrüßen: beispielsweise, in deutlich größerem Umfang als bisher Multiprofessionelle Teams (MPTs) zu etablieren und zusätzliche Verwaltungskräfte sowie Mitarbeitende für Informatik an den beruflichen Schulen einzusetzen. Die oben genannte Studie der Bertelsmann-Stiftung rät vor allem dazu, Quer- und Seiteneinsteigende systematisch zu qualifizieren und dafür bundesweit einheitliche und verbindliche Standards einzuführen. Hilfreich wäre es auch, die rund 30 Prozent Teilzeitkräfte unter den Berufsschullehrkräften zu einer Aufstockung ihres Stundendeputats zu motivieren.
Maßnahmenpaket
Bildungsexpertinnen und -experten in den grünen Berufen fordern vor allem, dass junge Menschen bei der Berufs- und Studienorientierung gezielt und systematisch über Qualifizierungs-, Einstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten als Berufsschullehrkraft informiert werden müssten. Bereits im Jahr 2016 hatte der vlf ein entsprechendes Positionspapier vorgelegt und Folgendes formuliert:
- Erfolgreiche Unterrichtstätigkeit ist ohne fundierte Kenntnis der Berufspraxis nicht möglich. Lehramtsanwärterinnen und -anwärter sollten daher bei allen Ausbildungswegen entweder eine einschlägige Berufsausbildung durchlaufen oder ein mindestens einjähriges Praktikum mit Praktikantenprüfung absolviert haben.
- Die Ausbildungsdauer von Berufsschullehrkräften darf nicht zu lang sein, damit der Beruf attraktiv bleibt. Eine enge Verzahnung von Fach- und Pädagogikstudium bietet deutliche Vorteile gegenüber nacheinander geschalteten Studiengängen.
- Die Möglichkeit zum Quereinstieg sollte in allen Bundesländern als Sonderweg in besonderen Mangelsituationen bestehen und auch für Personen mit Bachelorabschluss sowie in Einzelfällen für Absolventinnen und Absolventen fachlich verwandter Studiengänge (zum Beispiel Tiermedizin) geöffnet werden.
- In allen Bundesländern sind Personalkonzepte zu erarbeiten. Hierbei sind personelle Reserven für Abbrüche/Fluktuation und auch für kontinuierliche Weiterbildung mit einzuplanen. Bei der Personalauswahl sind eine fundierte Einschätzung der fachlichen berufspraktischen Kompetenz und eine angemessene Verteilung von männlichen und weiblichen Lehrkräften sicherzustellen.
- Freistellungen für Weiterbildung sind in ausreichendem Umfang in die Personal- und Stundenzuweisung aufzunehmen, sodass eine Teilnahme ohne Unterrichtsausfall möglich ist. Für anfallende Teilnahmegebühren und Reisekosten müssen Schulbudgets bereitgestellt werden. Die Schulleitung steht in der Verantwortung, eine fortlaufende Weiterbildung der Lehrkräfte zu ermöglichen, zu fördern und zu fordern.
Initiative gegründet
Bundesweit gibt es wichtige neue Impulse, um dem Mangel an Agrarlehrkräften zu begegnen. Im Gartenbau wurde 2022 der "Arbeitskreis Lehrkräftebildung in der Agrarwirtschaft" vom Zentralverband Gartenbau (ZVG), dem Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau e. V. (BGL) sowie Dr. Antje Eder, Lehrkraft am Staatlichen Beruflichen Schulzentrum Regensburger Land, ins Leben gerufen. Gemeinsam sollen die Gründe für den Lehrkräftemangel analysiert und entsprechende Lösungen formuliert und umgesetzt werden. Yvonne Grau vom Referat Bildung und Forschung im ZVG, die den Arbeitskreis leitet, erklärt: "Der Arbeitskreis dient dem Austausch auf verschiedenen Ebenen der Berufsausbildung und praktischen Umsetzung in den Schulen. So haben wir Experten im Rahmen von bislang sechs Online- und Präsenzmeetings zusammengeholt. Eine solche Initiative gab es bisher noch nicht."
Der bisherige Befund dieses Expertenkreises: Der Lehrberuf sei nicht mehr "sexy" genug für potenzielle Berufsanwärterinnen und -anwärter. Es fehle zudem weitgehend an Werbung und Öffentlichkeitsarbeit. Gleichzeitig seien die Hürden für Studierende und Quereinsteigende intransparent und nicht bundeseinheitlich. Grau unterstreicht die Zielrichtung: "Wir wollen das Lehramt im Agrarbereich wieder stärker in den Fokus rücken und auch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft daran beteiligen. Als Verbände versuchen wir mehr Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Auch die Universitäten wollen wir verstärkt ansprechen, damit sie sich mit unseren Verbänden und den Berufsschulen noch intensiver vernetzen."
Vernetzung
Auch in Nordrhein-Westfalen, dem mit über 9.600 GaLaBau-Unternehmen größten Gartenbauland in Deutschland, wird es immer schwieriger, Fachlehrpersonal zu finden, so Nicole Hörnemann, Leiterin des Gartenbauzentrums Essen innerhalb der Landwirtschaftskammer NRW. Angesichts des sich daraus ergebenden Fachkräfteengpasses halten der ZVG und der BGL beispielsweise die Gründung eines "Grünen Campus NRW" in diesem Bundesland für besonders wichtig. An diesem zukünftigen Zukunfts-, Bildungs- und Wissensstandort sei es für junge Menschen besonders attraktiv, einen Studiengang Gartenbau/Landschaftsbau/Landschaftsarchitektur zu studieren. Standort und Studiengang würden zahlreiche Symbiosen schaffen.
Hürden abbauen
Gleichzeitig gilt es Hemmnisse abzubauen, die den Weg in den Lehrerberuf erschweren. "Helfen würde es sicherlich, wenn das Land NRW ermöglichen würde, mit dem Bachelor in das Agrarreferendariat einzusteigen. Aktuell ist das nur mit einem Diplom oder Masterabschluss möglich", sagt Hörnemann. Auch Grau nimmt die Politik in die Pflicht und sieht gravierende Versäumnisse: "Es fehlt an einer Kampagne für das Lehramt. Die Regelungen für Seiten- und Quereinsteiger sind nicht bundesweit einheitlich gestaltet, es bestehen darüber hinaus weitere Hürden für den Berufseinstieg. Dies alles senkt die Attraktivität des Berufs für junge Menschen. Wenn der Weg hin zur Ausbildung als Lehrkraft schon kaum durchdringbar erscheint, dann werden sich junge Menschen nicht für diesen Beruf entscheiden."
Können materielle Faktoren mehr junge Menschen für das Lehramt begeistern? Für Fritz Arnold, lange Journalist bei der Fränkischen Landeszeitung und Experte für die landwirtschaftliche Ausbildung in Franken, gehören materielle Gründe ganz sicher nicht zu den negativen Aspekten des Berufs. Der Job sei sicher und auch im Vergleich zu vielen anderen Berufen relativ gut bezahlt. Problem sei aber, dass die materiellen Vorteile kaum oder gar nicht kommuniziert würden – für Arnold ein großer Fehler.
Gerade in ländlichen Regionen bleibt die Rekrutierung von Lehrkräften schwierig. Beispiel Sachsen-Anhalt: Anfang Mai hatte das dortige Bildungsministerium 511 Stellen an Schulen und Berufsschulen ausgeschrieben. Nur auf knapp die Hälfte gab es Bewerbungen, lediglich 80 davon waren ausgebildete Lehrkräfte. Auch Zulagen für schwer zu besetzende Stellen in ländlichen Regionen lockten demnach kaum Lehrkräfte an. Von 75 dieser Stellen konnten 62 nicht besetzt werden. In dem Bundesland sind rund elf Prozent aller Lehrkräfte Seiteneinsteigende, von denen aber etwa ein Drittel nach einigen Jahren aus diversen Gründen wieder ausscheiden. Besonders betroffen ist die berufliche Bildung in der Landwirtschaft und hier ist die Abhängigkeit von Quereinsteigenden noch größer.
Neue Zielgruppen
Eine vielversprechende Möglichkeit, das Problem des Lehrkräftemangels erfolgreich anzugehen, ist die Ansprache neuer Zielgruppen. Nach wie vor studieren in erster Linie junge Menschen vom Land das Lehramt für die Grünen Berufe, oft auch Kinder von Eltern, die selbst einen landwirtschaftlichen oder anderen grünen Betrieb führen. Doch zunehmend wählen auch Studienanfängerinnen und -anfänger ohne diesen Background das grüne Lehramtsstudium: junge Menschen, die in Städten aufgewachsen sind, aber die Natur, den Umgang mit Tieren und die Arbeit auf einem Bauernhof, im Gartenbau oder im Wald lieben und die darüber hinaus auch teilweise eigene Ideale gesellschaftlich umsetzen wollen. So wie Karolina Eff, Seminarlehrerin am Berufsschulzentrum Ansbach-Triesdorf (BSZ), die im Gespräch mit dem Bayerischen Landwirtschaftlichen Wochenblatt die gesellschaftliche Bedeutung der Landwirtschaft zur Selbstversorgung betont. Eff schätzt darüber hinaus die Vorzüge des Berufs sehr, die auch anderen jungen Menschen ohne engeren biografischen Bezug zum Land und zu grünen Berufen gefallen dürften: dass das Arbeitsleben sehr abwechslungsreich ist und sie unter anderem mit vielen unterschiedlichen Kooperationspartnern an ihrer Ausbildungsstätte zu tun hat, in Prüfungsausschüssen, bei Fortbildungen, zuständigen Ausbildungsstellen, dem Pferdezentrum, dem Bauernverband sowie den Praxismeistern im Berufsgrundschuljahr. Auch eigene Ideen kann die Seminarlehrerin ins Schulleben einbringen, wie die Planung von Lehrfahrten und die Betreuung der Fachlehreranwärterinnen und -anwärter. All das sind spannende Aspekte aus der facettenreichen Berufsschulpraxis, die stärker und zielgruppengerecht kommuniziert und beworben werden müssen.
Literatur
agrarheute.com (2023): Umfrage: Zu wenig Lehrer für Landwirtschaft an Berufsschulen? URL: www.agrarheute.com/management/betriebsfuehrung/umfrage-wenig-lehrer-fuer-landwirtschaft-berufsschulen-umfrage-609531 (Abruf:2.7.2024)
Bayerisches Landwirtschaftliches Wochenblatt (2024): Landwirtschaft braucht Lehrer: So gelingt der Einstieg. URL:
www.wochenblatt-dlv.de/dorf-familie/jugend-ausbildung/landwirtschaft-braucht-lehrer-so-gelingt-einstieg-576232 (Abruf: 14.6.2024)
Bertelsmann-Stiftung (2018): Berufsschulen brauchen bis 2030 60.000 neue Lehrer. URL:
https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2018/oktober/berufsschulen-brauchen-bis-2030-60000-neue-lehrer (Abruf: 25.6.2024)
Beschaffungsdienst Galabau (2023): "Grüner Campus NRW": Lösungen für Fachlehrermangel vorgestellt. URL: www.soll-galabau.de/aktuelle-news/ansicht-aktuelles/datum/2023/01/26/gruener-campus-nrw-loesungen-fuer-fachlehrermangel-vorgestellt.html (Abruf: 2.7.2024)
Bundesverband der Lehrkräfte für Berufsbildung e. V. (2023): BvLB kritisiert praxisferne Empfehlungen der KMK zur Bekämpfung des Lehrkräftemangels, URL: www.bvlb.de/2023/01/30/bvlb-kritisiert-praxisferne-empfehlungen-der-kmk-zur-bekaempfung-des-lehrkraeftemangels/ (Abruf: 23.6.2024)
Mitteldeutscher Rundfunk (2023): Landwirte beklagen Unterrichtsausfall – und geben Nachhilfe im Stall. URL: www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/stendal/stendal/lehrermangel-unterrichtsausfall-azubis-landwirtschaft-100.html (Abruf: 3.7.2024)
Mitteldeutscher Rundfunk (2024): Jede zweite ausgeschriebene Lehrerstelle ohne Bewerber. URL: www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/lehrerestellen-unbesetzt-ausschreibungen-lehrermangel-102.html (Abruf: 2.7.2024)
Verband landwirtschaftlicher Fachbildung (2016): vlf-Positionen zur Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften für die Berufsschulen des Agrarbereichs, URL: www.vlf-sh.de/fileadmin/docs/vlf-Thesen-Berufsschule.pdf (Abruf: 25.6.2024)